In den 60er & 70er Jahren gab es in der Mitternachtsschiene der Kinos einen geeigneten Platz fĂŒr subversive Undergroundfilme, verkannte Kultfilme, verbotene Klassiker usw. Zu dieser Zeit lieĂen sich Filmemacher wie John Waters, David Lynch, Alejandro Jodorowsky, Ron Rice oder Andy Warhol jeweils auf recht unterschiedliche Weise so richtig gehen… Vertreter eines experimentellen & transgressiven Kinos – wie Richard Kern oder Ian Kerhof – zehren aus dieser Tradition. Spielfilmartige Langfilme, die sich sehr kompromisslos in diese Tradition einreihen, sind in spĂ€teren Jahrzehnten relativ rar geworden oder eine Bindung mit Trash- & Mainstreamfilmen eingegangen.
“Begotten” – am 30. April 1990 als Festival-Beitrag uraufgefĂŒhrt – ist ein beachtliches Ausnahme-Werk der 1990er Jahre, das dem Geist des Mitternachtsfilms total entspricht. E. Elias Merhige ist einem vergleichsweise breiten Publikum ĂŒber seine Nosferatu-Hommage “Shadow of the Vampire” (2000) bekannt geworden, aber diesen Erfolg verdankte er erst seinem Debut-Spielfilm “Begotten”, der von Susan Sontag, Marilyn Manson, Werner Herzog oder Nicolas Cage gepriesen worden ist. FĂŒr manche ist es der legitime Nachfolger von Lynchs “Eraserhead” (1969), doch wĂ€hrend Lynch bereits auf eine relativ konventionelle Handlung, auf Dialoge und Auflösungen in Schuss und Gegenschuss setzte, ist “Begotten” radikaler (wenn auch nicht unbedingt besser) und zielt eher in die Richtung von “Flaming Creatures” (1964) oder “Vase de noces” (1975), entschleunigt die Handlung gehörig und tilgt Dia- & Monologe vollstĂ€ndig aus seinem Film. Wie in “Vase de noces” ist auch hier die SexualitĂ€t trotz einiger eindeutiger Bilder nicht mehr erotisch – wie es etwa bei Richard Kern, bei “Tetsuo” (1989) oder “Singapore Sling” (1990) der Fall ist. Merhige setzt vielmehr auf das Archaische und das Mythische, um eine ganz eigene Schöpfungsgeschichte samt SĂŒndenfall zu erzĂ€hlen, in der nicht gesprochen wird und in der alle Wesen nur schemenhaft zu erkennen sind. Anders als der von Lynch produzierte “Nadja” (1994) Michael Almereydas resultiert die Undeutlichkeit der Bilder jedoch nicht aus dem gewollt billigen Aufnahmeapparat, sondern aus einer langwierigen, mehrmonatigen Postproduktion, in welcher der Film frame fĂŒr frame bearbeitet worden ist. Es ist eine raue, grobe Form fĂŒr EindrĂŒcke aus einer Zeit vor der Schaffung des Tabus, in welcher das Opfer, der Totschlag, der Inzest, der Tod und die Geburt, die Götter und die Menschen ungehindert ihren Platz haben und sich zum Mythos vereinen, mit welchem dann auch Tabu und Sinn entstehen: Indem hier kein Mythos nacherzĂ€hlt wird, sondern die Bestandteile des Mythos als reine Gegenwart der nicht in Sprache gefassten SinneseindrĂŒcke vor einem ablaufen, bleibt der Film stets in der Schwebe zwischen Noch-nicht-Mythos und Mythos, zwischen dem reinen Passieren und dem spĂ€teren Zur-ErzĂ€hlung-Werden. Dem entspricht die zyklische Struktur des Films, die ĂŒber das GebĂ€ren und das Sterben, ĂŒber das Sterben und das Auferstehen einen Kreislauf suggeriert; Nietzsche wird von Merhige als eine seiner Inspirationsquellen genannt.
Worum es im einzelnen geht, verrÀt der Der Mann mit dem Plan in seinem Review.
PierrotLeFou
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