Italiens Filmlandschaft entdeckte den Langfilm zunächst mit historischen – und wenn man so will: phantastisch-parahistorischen – Ausstattungswerken, die vielfach auch auf Handlungen aus der Weltliteratur zurückgriffen und sich zeitlich weit zurückführen lassen: über Filme wie “Gli ultimi giorni di Pompeii” (1908), “El Cid” (1910), “La caduta di Troia” (1911), “Quo Vadis?” (1913), “Marcantonio e Cleopatra” (1913), “Gli ultimi giorni di Pompeii” (1913) oder “Jone o Gli ultimi giorni di Pompei” (1913) entstanden im Laufe der Zeit immer pompösere & längere Werke, kulminierend schließlich in Giovanni Pastrones “Cabiria” (1914), der sich nicht bloß durch seine epische Laufzeit und die bombastische Ausstattung, sondern auch durch aufwendige Kameraführungen und eine neuartige Beleuchtung auszeichnete. Während diese Entwicklung nie vollständig abriss und sich mit unterschiedlicher Popularität während des Faschismus ebenso halten konnte wie im Trivialfilm der 50er & 60er Jahre, entstand Anfang/Mitte der 10er Jahre aber auch eine andere Richtung, in der man gelegentlich einen Vorläufer des Neorealismus erblickte: Zwischen 1912 und 1916 entstehen einige wenige, zugleich aber angesehene (und heute zum Teil nicht mehr erhaltene) Filme, die sich naturalistischer Außenaufnahmen und gewöhnlicher Alltagsszenerien bedienten, um ihre durchaus dramatischen Geschichten zu erzählen, welche in aller Regel sozialkritische Ausrichtungen besaßen und sich aus der Operntradition des Verismo und der jüngeren Literaturgeschichte speisten. Der seit dem Zweiten Weltkrieg verschollene “Sperduti nel buio” (1914) des Schriftstellers Nino Martoglio über die Elendsviertel Neapels gilt als einer der Höhepunkte dieser Richtung.
“Assunta Spina” – der am 28. Oktober 1915 seine Uraufführung erlebte – ist die Verfilmung eines gleichnamigen Stücks von Salvatore Di Giacomo und schildert die Eifersucht eines Mannes, der von dieser zu Taten getrieben wird, deren Folgen dann seine Geliebte Assunta auf sich zu nehmen gedenkt. Ein abgewiesener Verehrer und ein bestechlicher Gerichtsbeamter, der Assuntas Lage für sich ausnutzt, spielen dabei tragende Rollen in diesem recht sentimentalen Drama, das neben seiner bissigen Darstellung von Korruption & Erpressung und seinen beachtlichen Außenaufnahmen in der Nähe von Neapel – die allerdings filmsprachlich nicht übermäßig beeindruckend ausfallen – vor allem aufgrund seiner Hauptdarstellerin Francesca Bertini überzeugt, die auch maßgeblich an der Adaption der Vorlage beteiligt war: Die Bertini war neben Lyda Borelli – und bald darauf auch neben der Duse – die wohl größte Diva des italienischen Stummfilms, welche mit “Assunta Spina” nochmals einen erheblichen Karriere-Aufschwung erlebte – gibt sie hier doch recht eindrücklich eine fordernde, willensstarke und zugleich aufopferungsvolle, geradezu unterwürfige Schönheit, die noch in ihrer Trauer erhabene Größe besitzt. Ihre Karriere hielt dann bis Anfang/Mitte der 20er Jahre an, ehe die Bertini nur noch sporadisch vor die Kamera trat: aber immerhin bis weit in die 70er Jahre hinein, zuletzt in Bertoluccis Mammutwerk “Novecento” (1976).
Bei Kino Video liegt der Film restaurierte Film auf DVD vor: Fassungseintrag von GV
PierrotLeFou
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