Robert Louis Stevensons “Strange Case of Dr Jekyll and Mr Hyde” (1886) landete knapp 20 Jahre nach Erscheinen erstmals auf der Leinwand – in Form von William N. Seligs “Dr. Jekyll and Mr. Hyde” (1908), der heute ebenso als verschollen gilt, wie auch die dänische Verfilmung August Bloms aus dem Jahre 1910. Lucius Hendersons “Dr. Jekyll and Mr. Hyde” (1912) und Herbert Brenons “Dr. Jekyll and Mr. Hyde” (1913) sind dagegen noch erhalten und gelten als reizvolle, frühe Literaturverfilmungen. Einen wahren Klassiker-Status besitzt dagegen die deutsche, bloß vage inspirierte Version “Der Andere” (1913) von Max Mack – ebenso wie F. W. Murnaus mit Conrad Veidt (und dem späteren Horror-Star Bela Lugosi in einer Nebenrolle) besetztes Plagiat “Der Januskopf” (1920), das allerdings als verschollen gilt. Auch der zeitgleich in den USA mit John Barrymore entstandene “Dr. Jekyll and Mr. Hyde” (1920) John N. Robertsons hat sich bis heute als einer der interessanteren US-Horror-Stummfilme eine große Popularität sichern können – sein Erfolg war seinerzeit einer der Gründe für Stan Laurels Auftritt als “Dr. Pryckle and Mr. Pride” (1925). Das sind noch nicht alle Verfilmungen des Stummfilm-Zeitalters, aber sicherlich die wichtigsten – die Vielzahl spricht für den Reiz, den Stevensons Erzählung für das Publikum besaß. Die ebenso tragische wie unheimliche und zugleich auf perverse Weise reizvolle Geschichte, die in ihrer Verhandlung von Identität vergleichsweise vordergründig & flach bleibt, schien (und scheint bis heute) nie aus der Mode zu kommen. 1931 inszenierte schließlich der große Rouben Mamoulian (“Love Me Tonight” (1932), “Queen Christina” (1933)) zur Zeit des boomenden Tonfilms und besonders zur Zeit von Universal-Horrorklassikern Paramounts Tonfilm-Version des Stoffes: “Dr. Jekyll and Mr. Hyde” (1931) hat sich inszenatorisch und schauspielerisch - dank Frederic March und Miriam Hopkins – als einer der großen Genreklassiker bis heute einen guten Ruf bewahren können, der für damalige Verhältnisse in Sachen Anrüchigkeit erstaunlich weit ging.
Der am 12. August 1941 uraufgeführte “Dr. Jekyll and Mr. Hyde”, den Victor Fleming dann für MGM inszenierte, stützt sich handlungsmäßig vor allem auf seinen direkten Vorgänger – und war für Jahrzehnte vor allem deshalb unter Cineasten unbeliebt, weil MGM das zehn Jahre ältere Konkurrenz-Produkt von Paramount lange Zeit unzugänglich machte. Mit Spencer Tracy, den man heute vor allem aus seinen Filmen ab Mitte der 50er Jahre kennt, der aber schon in den frühen 30er Jahren und vor allem dank Fritz Langs erstem US-Film “Fury” (1936) ein gefragter Darsteller war, und Ingrid Bergman - die kurz darauf mit “Casablanca” (1942), “For Whom the Bell Tolls” (1943), “Gaslight” (1944) und unter Hitchcock und als Partnerin Roberto Rossellinis zu einem großen Star avancierte – ist das Werk beachtlich besetzt und Fleming – der kurz zuvor noch als einer der Regisseure von “The Wizard Of Oz” (1939) und “Gone with the Wind” (1939) Filmgeschichte schrieb - beweist sicherlich auch eine souveräne Inszenierungskunst (wenngleich die artifiziellen Verwandlungsszenen nicht ganz die Größe von Mamoulians Version erreichen), aber letztlich leidet der Film empfindlich an den Einschränkungen des Hays Codes, die den Sadismus vor allem in seiner explizit sexuellen Natur ein ganzes Stückchen milder ausfallen lassen. Das lässt den Film bei seinem Thema heute ganz besonders altbacken wirken: dennoch bietet der Film auch dank Franz Waxmans Musik und Joseph Ruttenbergs Kamera (deren Führung aber nicht die Extravaganz des 1931er Titels aufweist) inszenatorische und schauspielerische Vorzüge – wenngleich Tracy seine Rolle später eher kritisch gesehen haben soll -, die ihn über kommende Verfilmungen (eine mexikanische Version, eine Abbott & Costello-Parodie, Versionen der Hammer Studios (zum Teil gender-switched)) fraglos erhaben sein lassen. Lediglich Jean Renoirs “Le testament du Docteur Cordelier” (1959) sticht noch wie Borowczyks freier “Docteur Jekyll et les femmes” (1981) und Stephen Frears bloß indirekte (durch Valerie Martin gefilterte) Stevenson-Verfilmung “Mary Reilly” (1996) aus der Menge der Verfilmungen bis heute positiv hervor: Es überwiegen ansonsten naive Gruselfilme, alberne Komödien, fade TV-Versionen, Sinnentstellungen und kleine Perlen, die zwar ihre Reize besitzen, aber nicht an das Prestige der großen MGM-Version heranreichen.
Warner bietet den Film mit seinem Paramount-Vorbild auf einer empfehlenswerten Flipper Disc an: Fassungseintrag von Kayfabe. Zwar ist der Film gegenüber der Uraufführung als geschnitten anzusehen, aber auch die vermeintlich ungeschnittenen Ausstrahlungen im hiesigen TV sind nicht vollständig und lassen (wenige) Sekunden vermissen, die in Warners DVD-Version enthalten sind. Eine ultimative Veröffentlichung steht somit aus (und wird vermutlich – so steht es zu befürchten – kaum noch kommen).
PierrotLeFou
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