Wilhelm & Birgit Hein mögen mittlerweile nicht mehr immens populär sein – wobei Birgit Hein längst eine feste Größe an der Akademie der KĂĽnste ist –, gehören aber fraglos zu den einflussreichsten & radikalsten Experimentalfilm-Größen im deutschsprachigen Raum, was nicht zuletzt an Birgit Heins Buchpublikation “Film im Underground” (1971) liegt, die längst einen der wichtigen deutsche Standardtexte zum Thema darstellt. Dort findet Birgit Hein allerdings wesentlich wohlwollendere Töne fĂĽr ihre eigenen Filme, wohingegen etwa ein Ferdinand Khittl kurzerhand zerpflĂĽckt wird; Ă„hnliches wäre auch ĂĽber das zweibändige Standardwerk von Hans Scheugl und Ernst Schmidt jr. zu sagen, in welchem die Autoren die eigenen Filme weit umfassender als etwa einen Bruce Connor und weit unkritischer als einen Stan Brakhage behandeln: Es ist offenbar ein Manko, dass Filmschaffende als Filmtheoretiker in der Beurteilung Filmschaffender, zu denen sie selbst ebenfalls gehören, recht parteiisch sind. Das wertet diese Publikationen aber nur minimal ab und soll erst recht nicht den Blick auf die filmischen Arbeiten selbst verwässern. Und insbesondere mit “Rohfilm” haben die Heins einen Klassiker des deutschen Experimentalfilms abgeliefert, der seinerzeit als selbstreflexiver, metafilmischer Materialfilm betrachtet werden musste und in der Retrospektive auch Spuren des politischen Klimas seines Jahrgangs aufwies.
“Rohfilm”, der zwischen dem 12. und dem 17. November 1968 in MĂĽnchen auf dem Ersten Treffen unabhängiger Filmemacher im Rahmen des Independent Film Centers uraufgefĂĽhrt worden ist, steht fraglos in der Tradition von Werken wie Man Rays “Le Retour Ă la raison” (1923) oder Stan Brakhages “Mothlight” (1963), wird doch die Bearbeitung des Filmstreifens selbst zum ästhetischen Erlebnis gemacht: “Rohfilm” enthält teils mehrfach abgefilmte Filmprojektionen zuvor angefertigter Aufnahmen, wobei allerlei Klebestreifen, Haare und KrĂĽmel auf das Filmmaterial selbst geklebt worden ist, derweil die abgefilmten Filmprojektionen auch diverse Projektionspannen aufweisen. Ohne jeden narrativen Anstrich und teilweise auch – weil bisweilen die Materialität des Filmmaterials auch die Motive auf dem Filmstreifen gänzlich verdrängt – ohne Bildmotive macht der Film somit seine eigene Medialität und Materialität sichtbar, aber auch seine Reproduzierbarkeit und seine Abnutzungs- & Alterungserscheinungen. “Rohfilm” ist ein “Experimentalfilm als Metafilm” (Bernd Lindemann) im allerbesten Sinne. Und das erklärt auch, weshalb Birgit Hein 20 Jahre nach der UrauffĂĽhrung berichtete, dass ihr einstige Gegner ihres Filmverständnisses berichtet hätten, “Rohfilm” sei der einzig politische Film seines Jahres gewesen: Das ist natĂĽrlich eine ungeheuerliche Ăśbertreibung, die aber auf den medienpädagogischen Aspekt von “Rohfilm” aufmerksam macht, welchen man schnell ĂĽbersehen könnte. Indem “Rohfilm” die Materialität und Funktionsweise von Filmmaterial erfahrbar macht, indem er die KĂĽnstlichkeit, Bearbeitbarkeit und Reproduzierbarkeit von Aufnahmen angesichtig werden lässt, schafft er zugleich den Anreiz, ĂĽber gängige und potentielle Möglichkeiten der Manipulation dieses Mediums sinnieren zu lassen: Vor allem das Selbstverständnis des narrativen Films, welcher mit seinen Geschichten so natĂĽrlich wirkt, aber freilich das denkbar Konstruierteste schlechthin ist, wird hier radikal infrage gestellt.
Betrachten kann man diesen Experimentalfilm-Klassiker in der Edition filmmuseum 54: W+B Hein. Materialfilme des Filmmuseums München (Eintrag von gül). Etwas umfangreicher lasse ich mich in meinem Review über (nicht nur) diesen Film der Heins aus, wobei auch die Nähe eines solchen Reproduktions-Materialfilms zum Retro-Kino der letzten 10, 15 Jahre angeschnitten wird.
PierrotLeFou
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