Ingmar Bergman war 1968 der schwedische Meisterregisseur von Weltrang. Mit seinen Dramen, Liebesfilmen und âweniger bekannten – Lustspielen hatte er in den 50ern - vor allem ab “Sommarnattens leende” (1955) – einen weltweiten Siegeszug angetreten, der dann mit dem Skandalfilm “Tystnaden” (1963) nochmals zusĂ€tzliche PopularitĂ€t erlebte. In Schweden war seine Stellung aber keineswegs mehr unangefochten: Ein Bo Widerberg (“Kvarteret Korpen” (1963), “Mannen pĂ„ taket” (1976)) etwa vertrat lĂ€ngst die Ansicht, dass die oftmals etwas feingeistigen, intellektuellen Werke eines Bergman â ĂŒber Glaubens- und IdentitĂ€tskrisen – die LebensrealitĂ€t der Menschen doch etwas verfehlten. Mit dem parabelhaften “Tystnaden” und dem selbstreflexiven “Persona” (1966), mit seinen Historienfilmen und einigen TheaterstĂŒck-Adaptionen lieĂ Bergman selbst indes erkennen, dass er an einem von Widerberg begehrten Kino auch kein groĂes Interesse hatte. Mit “Vargtimmen” brachte er dann am 19. Februar 1968 einen Film in die Kinos, dessen artifiziellen, keineswegs realitĂ€tsnahen ZĂŒge nochmals deutlich wahrnehmbarer ausgeweitet worden waren: “Vargtimmen” ist ein teils pseudodokumentarisches, in einzelnen Sequenzen nahezu avantgardistisches Drama, welches unĂŒbersehbar auch eine Huldigung an E. T. A. Hoffmann darstellt. Nach dem Schachspiel mit dem Tod in “Det sjunde Inseglet” (1957), nach der beklemmenden Alptraumsequenz in “SmultronstĂ€llet” (1957), nach dem phantastischen “Ansiktet” (1958), dem qualvollen “Last House on the Left”-Vorbild “JungfrukĂ€llan” (1960), der phantastischen Komödie “DjĂ€vulens öga” (1960) und den verstörenden EindrĂŒcken aus “Persona” hatte Bergman nun seine engste AnnĂ€herung an den phantastischen Horrorfilm abgeliefert; so nahe kam er dem Genre auch spĂ€ter mit seinen horriblen Thriller-Dramen “The Serpent’s Egg” (1977) und “Aus dem Leben der Marionetten” (1980) nicht mehr.
Auf FĂ€rö – wo auch “Skammen” (1968) und “En passion” (1969) spielen, welche hiermit die sogenannte FĂ€rö-Trilogie Bergmans bilden – wird Max von Sydow als Maler Johan zunehmend von seinen Wahnideen gequĂ€lt, welche bald auch auf seine Gemahlin abfĂ€rben. AbgrĂŒnde tun sich auf, ehe er in der Stunde des Wolfes zum Opfer seines Wahns wird – oder vielleicht doch zum Opfer menschenfressender Bestien? Die Namen mancher Figuren wurden ganz direkt aus Hoffmanns Werk ĂŒbernommen, derweil eine phantastische Stelle aus seinem Werk (nĂ€mlich die scheinbare Verwandlung in einen Vogel) quasi 1:1 umgesetzt wird. Dass Georg Rydeberg in seinem Spiel als Lindhorst stark an Bela Lugosi erinnert, verstĂ€rkt die NĂ€he zum phantastischen Film zusĂ€tzlich.
Als Fiebertraum zeugt “Vargtimmen” zweifelsohne von groĂer Kunstfertigkeit – als Drama wirkt er indes wesentlich konstruierter und zugleich beliebiger als manch andere Bergmans, wobei er allerdings auch trotz des semidokumentarischen Anstriches ganz offen als Konstrukt ausgewiesen wird. Mit weiteren groĂen Darsteller(inne)n wie Liv Ullmann, Erland Josephson und Ingrid Thulin, mit selbstreflexiven Brechungen und vereinzelten inszenatorischen BravourstĂŒcken ist “Vargtimmen” aber zumindest ein ausgesprochen interessanter, reizvoller Film geworden, der momentan leider nur noch als UK-DVD von MGM recht gĂŒnstig zu erhaschen ist (Fassungseintrag von PierrotLeFou), wĂ€hrend (nicht nur) die deutschen Fassungen vergriffen sind und meist recht ĂŒberteuert angeboten werden.
Dass man den umstrittenen Film auch zu Bergmans Sternstunden zÀhlen kann, beweist Vince mit seinem kurzen & prÀgnanten Kurz-Review.
PierrotLeFou
Kommentare und Diskussionen
Keine Kommentare zu „Vor 50 Jahren: Ingmar Bergmans Horrorfilm – Beginn der FĂ€rö-Trilogie“
Um Kommentare schreiben zu können, müssen Sie eingeloggt sein.
Unser News-Bereich wurde überarbeitet und wird in Kürze weiter ausgebaut werden, damit Sie stets aktuell über alle Neuigkeiten rund um die Welt des Films informiert sind.