Vor 25 Jahren: DerparDIEU & GODard – Von Menschen und Göttern 30. Juli 2018 | Stichwörter: 1990er, Depardieu, Drama, Essayfilm, Frankreich, Giraudoux, Godard, Jubiläum, Klassiker, Liebesfilm, Literaturverfilmung, Molière, Phantastik, Schweiz, Spielfilm HĂ©las pour moi (1993) Mit dem halblangen “Les enfants jouent Ă la Russie” (1993) beginnt Godard Anfang/Mitte der 90er Jahre damit, kleinere, unkonventionellere Werke zu drehen, die sich wieder weiter vom Spielfilm entfernten, dem er sich nach seiner “unsichtbaren” Phase in den 70ern mit “Sauve qui peut (la vie)” (1979) wieder verstärkt gewidmet hatte: Subjektive Essayfilme ĂĽber die Kunst und ihre Beziehungen zum Politischen. “For Ever Mozart” (1996) ist unter diesen Werken vielleicht noch das spielfilmischste, verzichtet aber auf die groĂźen Namen, die Godard in den fĂĽhen 90er Jahren in seinen Filmen untergebracht hatte: Alain Delon in “Nouvelle Vague” (1990), Eddie Constantine in “Allemagne annĂ©e 90 neuf zĂ©ro” (1991) und GĂ©rard Depardieu in “HĂ©las pour moi”. Es entstehen fortan ein essayistischer Foto-Film mit “Je vous salue, Sarajevo” (1993), eine filmische Autobiografie ĂĽber das Wesen des Selbstporträts mit “JLG/JLG – autoportrait de dĂ©cembre” (1994), eine semidokumentarische Bestandaufnahme zum 100. Geburtstag des Kinos mit “Deux fois cinquante ans de cinĂ©ma français” (1995), ein eigenwilliger France-Gall-Musik-Kurzfilm mit “Plus Oh” (1996), eine filmische Briefbotschaft an junge Studierende mit “Adieu au TNS” (1998), reine Essayfilme wie “Old Place” (1998) und natĂĽrlich der Hauptteil seiner “Histoire(s) du cinĂ©ma” (1989, 1997/1998). “HĂ©las pour moi” – im August 1993 uraufgefĂĽhrt – ist dagegen ein letzter seiner prestigeträchtigen Star-Filme der frĂĽhen 90er Jahre: Das Filmplakat spielt bereits recht provokant mit diesem Star-Status und hebt “God” in Godard und “Dieu” in Depardieu hervor. Das ist aber keinesfalls Größenwahn, sondern eine verspielte Annäherung an das Thema. Denn “HĂ©las pour moi” verhandelt mehr oder weniger den altbekannten “Amphitryon”-Stoff: Zeus, der Göttervater, schlĂĽpft in die Gestalt des Amphitryon, um mit dessen Partnerin Alkmene zu schlafen – und dabei Herakles zu zeugen. Diese bekannte Geschichte erzählt Godard aber freilich nicht bloĂź ein weiteres Mal. Stattdessen entspinnt er einen kunsttheoretischen, medienreflexiven, philosophischen Thesenfilm, der in seiner essayistischen Form aber vielmehr poesievoll und weniger nĂĽchtern & trocken geraten ist. Abraham Klimt ist Verleger und sammelt als solcher gewissermaĂźen Geschichten. Um einen fragmentarischen Roman zu rekonstruieren, begibt er sich in einen Dialog mit den Figuren, die Aufschluss darĂĽber geben sollen, was in einer Julinacht des Jahres 1989 am Genfer See geschehen ist. Womöglich ist Gott in die Rolle von Simon Donnadieu geschlĂĽpft, um Rachel Donnadieu zu schwängern. Aber auch bloĂź vielleicht, denn die Figuren erinnern sich allesamt anders. So ist “HĂ©las pour moi” nicht bloĂź eine “Amphitryon”-Neuauflage, sondern auch die Rekonstruktion einer ganz irdischen Liebesgeschichte eines Paares. Und natĂĽrlich erschöpft sich der Film nicht in solch einem Entweder-oder… “HĂ©las pour moi” ist nämlich in erster Linie die Reflexion des Erzählens in Sätzen und Bildern. im Film wird davon gesprochen, was nicht in Bildern auszudĂĽcken ist, während zugleich gezeigt wird, was sich nicht adäquat in Wörter fassen lässt. Aber Godard verfällt hier nicht in die sprachphilosophischen Fragestellungen einiger FrĂĽhwerke zurĂĽck, sondern bringt ein sehr gefestigtes Kunstverständnis zum Ausdruck. “HĂ©las pour moi” umgeht die klassische Dramaturgie mit ihrem Aktions-Reaktionsschema, mit ihren monokausalen Abläufen – hier wird klargestellt, dass Geschichten nur ĂĽber VerkĂĽrzungen möglich sind und sie daher nichts Wahres, zumindest nicht in seiner Gesamtheit, vermitteln können. Indem Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf untrennbar verschwimmen, lassen sich Ursprung und Schöpfung nicht länger annehmen – womit Godard eben das Erzählen von Geschichten thematisiert, die sich nicht bloĂź nie ohne LĂĽgen in Anfang, Mitte und Ende ordnen lassen, sondern auch niemals vollständig von der Inspirationsquelle der Realität getrennt gedacht werden können. Die schwierigen Komplikationen des letzten Punktes klingen schon zu Beginn des Films an, wenn frei nach Elie Wiesels Geschichte vom GroĂźrabbi Israel-Baal-Schem-Tow vom Wert des Geschichtenerzählens gesprochen wird (wobei sich die Geschichte als einzige Ăśberlieferung vergangener Vorbilder und Lebenspraxen präsentiert). Herausgekommen ist ein ausgesprochen spiritueller, möglicherweise mystischer Godard, der sich zugleich sehr melancholisch als RĂĽckblick auf die Kunstgeschichte ausweist: Die Bibel, Giraudoux, Molière, Giacomo Leopardi, Stendhal, Jacques Rivière, Elie Wiesel, Goya, Klimt, Bach, Beethoven, Holliger, Schostakowitsch, Tschaikowsky, Kantscheli, Hitchcock, eine Bibliothek, eine Videothek voller Thriller, Action- und Horrorfilme, Godard himself… alles Mögliche wird aufgegriffen und zur selbstreflexiven Filmerzählung verdichtet, die weniger als Narration, sondern viel eher als fragmentarisches, brĂĽchiges Gedankenspiel funktioniert, das im Grunde um die erhabene, uralte Frage von der Beziehung des Einen zum Absoluten kreist und alle klugen Gedanken diesbezĂĽglich auf das Feld der Kunst ĂĽberträgt. Das mag ein elitäres Kino sein – zumal nicht ganz klar ist, ob die Szene in der Videothek nicht doch eine Abwertung des Genrefilms enthält –, aber auch bei einer völlig ĂĽberforderten Erstsichtung stecken genug Humor, Staunen, Schönheit und Formstrenge in dem Werk, um ausreichend zu beeindrucken, ohne dass die vielen Diskurse auch bloĂź annähernd erahnt worden wären. Und in seiner FĂĽlle und Komplexität schafft “HĂ©las pour moi” etwas, was nur wenige Filme von sich behaupten können: Er wird sich niemals vollständig konsumieren lassen, sondern bei jeder weiteren Sichtung immer noch weitere, neue Facetten zeigen… Recht gĂĽnstig liegt der Film seit ĂĽber zehn Jahren in GroĂźbritannien bei Studio Canal/Optimum auf DVD vor, ist aber - trotz existierender Synchronisation – hierzulande noch immer nicht erhältlich: Fassungseintrag von PierrotLeFou PierrotLeFou
Hélas pour moi (1993)
Mit dem halblangen “Les enfants jouent Ă la Russie” (1993) beginnt Godard Anfang/Mitte der 90er Jahre damit, kleinere, unkonventionellere Werke zu drehen, die sich wieder weiter vom Spielfilm entfernten, dem er sich nach seiner “unsichtbaren” Phase in den 70ern mit “Sauve qui peut (la vie)” (1979) wieder verstärkt gewidmet hatte: Subjektive Essayfilme ĂĽber die Kunst und ihre Beziehungen zum Politischen. “For Ever Mozart” (1996) ist unter diesen Werken vielleicht noch das spielfilmischste, verzichtet aber auf die groĂźen Namen, die Godard in den fĂĽhen 90er Jahren in seinen Filmen untergebracht hatte: Alain Delon in “Nouvelle Vague” (1990), Eddie Constantine in “Allemagne annĂ©e 90 neuf zĂ©ro” (1991) und GĂ©rard Depardieu in “HĂ©las pour moi”. Es entstehen fortan ein essayistischer Foto-Film mit “Je vous salue, Sarajevo” (1993), eine filmische Autobiografie ĂĽber das Wesen des Selbstporträts mit “JLG/JLG – autoportrait de dĂ©cembre” (1994), eine semidokumentarische Bestandaufnahme zum 100. Geburtstag des Kinos mit “Deux fois cinquante ans de cinĂ©ma français” (1995), ein eigenwilliger France-Gall-Musik-Kurzfilm mit “Plus Oh” (1996), eine filmische Briefbotschaft an junge Studierende mit “Adieu au TNS” (1998), reine Essayfilme wie “Old Place” (1998) und natĂĽrlich der Hauptteil seiner “Histoire(s) du cinĂ©ma” (1989, 1997/1998). “HĂ©las pour moi” – im August 1993 uraufgefĂĽhrt – ist dagegen ein letzter seiner prestigeträchtigen Star-Filme der frĂĽhen 90er Jahre: Das Filmplakat spielt bereits recht provokant mit diesem Star-Status und hebt “God” in Godard und “Dieu” in Depardieu hervor. Das ist aber keinesfalls Größenwahn, sondern eine verspielte Annäherung an das Thema. Denn “HĂ©las pour moi” verhandelt mehr oder weniger den altbekannten “Amphitryon”-Stoff: Zeus, der Göttervater, schlĂĽpft in die Gestalt des Amphitryon, um mit dessen Partnerin Alkmene zu schlafen – und dabei Herakles zu zeugen. Diese bekannte Geschichte erzählt Godard aber freilich nicht bloĂź ein weiteres Mal. Stattdessen entspinnt er einen kunsttheoretischen, medienreflexiven, philosophischen Thesenfilm, der in seiner essayistischen Form aber vielmehr poesievoll und weniger nĂĽchtern & trocken geraten ist. Abraham Klimt ist Verleger und sammelt als solcher gewissermaĂźen Geschichten. Um einen fragmentarischen Roman zu rekonstruieren, begibt er sich in einen Dialog mit den Figuren, die Aufschluss darĂĽber geben sollen, was in einer Julinacht des Jahres 1989 am Genfer See geschehen ist. Womöglich ist Gott in die Rolle von Simon Donnadieu geschlĂĽpft, um Rachel Donnadieu zu schwängern. Aber auch bloĂź vielleicht, denn die Figuren erinnern sich allesamt anders. So ist “HĂ©las pour moi” nicht bloĂź eine “Amphitryon”-Neuauflage, sondern auch die Rekonstruktion einer ganz irdischen Liebesgeschichte eines Paares. Und natĂĽrlich erschöpft sich der Film nicht in solch einem Entweder-oder… “HĂ©las pour moi” ist nämlich in erster Linie die Reflexion des Erzählens in Sätzen und Bildern. im Film wird davon gesprochen, was nicht in Bildern auszudĂĽcken ist, während zugleich gezeigt wird, was sich nicht adäquat in Wörter fassen lässt. Aber Godard verfällt hier nicht in die sprachphilosophischen Fragestellungen einiger FrĂĽhwerke zurĂĽck, sondern bringt ein sehr gefestigtes Kunstverständnis zum Ausdruck. “HĂ©las pour moi” umgeht die klassische Dramaturgie mit ihrem Aktions-Reaktionsschema, mit ihren monokausalen Abläufen – hier wird klargestellt, dass Geschichten nur ĂĽber VerkĂĽrzungen möglich sind und sie daher nichts Wahres, zumindest nicht in seiner Gesamtheit, vermitteln können. Indem Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf untrennbar verschwimmen, lassen sich Ursprung und Schöpfung nicht länger annehmen – womit Godard eben das Erzählen von Geschichten thematisiert, die sich nicht bloĂź nie ohne LĂĽgen in Anfang, Mitte und Ende ordnen lassen, sondern auch niemals vollständig von der Inspirationsquelle der Realität getrennt gedacht werden können. Die schwierigen Komplikationen des letzten Punktes klingen schon zu Beginn des Films an, wenn frei nach Elie Wiesels Geschichte vom GroĂźrabbi Israel-Baal-Schem-Tow vom Wert des Geschichtenerzählens gesprochen wird (wobei sich die Geschichte als einzige Ăśberlieferung vergangener Vorbilder und Lebenspraxen präsentiert). Herausgekommen ist ein ausgesprochen spiritueller, möglicherweise mystischer Godard, der sich zugleich sehr melancholisch als RĂĽckblick auf die Kunstgeschichte ausweist: Die Bibel, Giraudoux, Molière, Giacomo Leopardi, Stendhal, Jacques Rivière, Elie Wiesel, Goya, Klimt, Bach, Beethoven, Holliger, Schostakowitsch, Tschaikowsky, Kantscheli, Hitchcock, eine Bibliothek, eine Videothek voller Thriller, Action- und Horrorfilme, Godard himself… alles Mögliche wird aufgegriffen und zur selbstreflexiven Filmerzählung verdichtet, die weniger als Narration, sondern viel eher als fragmentarisches, brĂĽchiges Gedankenspiel funktioniert, das im Grunde um die erhabene, uralte Frage von der Beziehung des Einen zum Absoluten kreist und alle klugen Gedanken diesbezĂĽglich auf das Feld der Kunst ĂĽberträgt. Das mag ein elitäres Kino sein – zumal nicht ganz klar ist, ob die Szene in der Videothek nicht doch eine Abwertung des Genrefilms enthält –, aber auch bei einer völlig ĂĽberforderten Erstsichtung stecken genug Humor, Staunen, Schönheit und Formstrenge in dem Werk, um ausreichend zu beeindrucken, ohne dass die vielen Diskurse auch bloĂź annähernd erahnt worden wären. Und in seiner FĂĽlle und Komplexität schafft “HĂ©las pour moi” etwas, was nur wenige Filme von sich behaupten können: Er wird sich niemals vollständig konsumieren lassen, sondern bei jeder weiteren Sichtung immer noch weitere, neue Facetten zeigen… Recht gĂĽnstig liegt der Film seit ĂĽber zehn Jahren in GroĂźbritannien bei Studio Canal/Optimum auf DVD vor, ist aber - trotz existierender Synchronisation – hierzulande noch immer nicht erhältlich: Fassungseintrag von PierrotLeFou
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