Aus Theodor Storms kurzer Novelle – in der sich die Erinnerung eines Alten an seine Jugendzeit und -liebe und eine vertane Chance so schnell verflĂĽchtigt, wie sie gekommen war – hatte Veit Harlan 1943 ein Melodram in Agfacolor gemacht. Ein prestigeträchtiges und kostenspieliges Projekt, welches mehr oder weniger zugleich mit seinem folgenden Agfacolor-Streifen “Opfergang” (1944) entstanden war, um die hohen Kosten wenigstens ein bisschen einzuschränken. Herausgekommen war laut Harlans eigenen Aussagen seine einzige Regiearbeit aus Kriegszeiten, die gänzlich von Beanstandungen unbehelligt geblieben ist. Dennoch landete auch “Immensee”, der sich seit seiner UrauffĂĽhrung am 8. Dezember 1943 zu einem der erfolgreichsten Filme des Dritten Reichs entwickelt hatte, nach Kriegsende auf der langen Liste verbotener Propagandafilme. Das lag keinesfalls bloĂź am Ruf Harlans, der zu den berĂĽchtigsten Propagandafilmern des Dritten reichs zählte, sondern durchaus auch an der Beschaffenheit des Films selbst. Denn Harlans “Immensee” – ab der Zeit des Neuen Deutschen Films meist als sentimentale Verkitschung Storms wahrgenommen, heute zunehmend wieder rehabilitiert und als formvollendetes elegisches Melodram gelobt – ändert Tonfall und Aspekte der Vorlage entscheidend ab. Hier gibt es keinen Alten, der sich erinnert und dann – aus den Erinnerungen gerissen – sogleich wieder an seine Studien macht; dieser ruhige, gelassene Umgang mit der Erinnerung wird hier durch intensive GefĂĽhlswallungen ersetzt: Schwelgerische Musik dominiert den Einstieg ins Geschehen, das recht bald das einstige Liebespaar bei der gemeinsamen Erinnerung ihrer (gar nicht soweit zurĂĽckliegenden) Vergangenheit zeigt: Elisabeth (Kristina Söderbaum) trägt einen Witwenschleier, beide ertragen sie in der Rahmenhandlung wehmĂĽtig und ausgefĂĽllt zugleich ihre frĂĽhere und bald wieder einsetzende Trennung voneinander, denn das Entscheidende sei die Treue, mit der Reinhardt (Carl Raddatz) seinen Pflichten und Elisabeth ihrer Heimatverbundenheit nachgegangen wären. In “Opfergang”, dem fiebrig-schwelgerischen, todessehnsĂĽchtigen Melodram des Verfalls, wird diese Moral der Entbehrung, Entsagung, Selbstlosigkeit und Aufopferung noch deutlicher zelebriert als in “Immensee”, der auch zwischen der deutlich veränderten Rahmenhandlung mit den seufzenden Gesängen, der klagenden und immer wieder aufwallenden Musik, der Farbdramaturgie und selbst noch mit vereinzelten Kameraperspektiven und Bewegungen einen GefĂĽhlsĂĽberschwang und eine Glaubensinbrunst anpeilt, welche man in Storms Novelle so nicht findet. FĂĽr die vielen Szenen des Umarmens und KĂĽssens und Schmachtens gilt dasselbe.
Der handwerklich und inszenatorisch durchaus souveräne, ideologisch zweifelhafte aber eben nicht explizit politische Film, der dann auch nie auf der Liste der Vorbehaltsfilme gelandet ist, wurde gemeinsam mit “Opfergang” vor wenigen Jahren restauriert bei Concorde veröffentlicht: Fassungseintrag von MMeXX
PierrotLeFou
Kommentare und Diskussionen
Keine Kommentare zu „Vor 75 Jahren: Agfacolor-Klassiker nach Storm als unscheinbare Propaganda“
Um Kommentare schreiben zu können, müssen Sie eingeloggt sein.
Unser News-Bereich wurde überarbeitet und wird in Kürze weiter ausgebaut werden, damit Sie stets aktuell über alle Neuigkeiten rund um die Welt des Films informiert sind.