Angeblich wegen seiner Vorliebe fĂŒr Skiurlaube ist Ernst Lubitschs frĂŒhes Schaffen angefĂŒllt mit diversen Schneefilmen. Unter diesen stechen im Jahr 1920 zwei Filme besonders heraus, ĂŒbertragen sie doch recht frei populĂ€re Shakespeare-Stoffe in deutsche Schneelandschaften. Den Anfang machte am 9. MĂ€rz 1920 “Kohlhiesels Töchter”, dem einigen Quellen zufolge der schon am 12. MĂ€rz 1920 uraufgefĂŒhrte “Romeo und Julia im Schnee” folgte, der sich freilich an Shakespeares “Romeo and Juliet” (1597) orientierte, aber auch ein wenig die Anzengruber-Bauernposse “Der Doppelselbstmord” (1918) einflieĂen lieĂ. Was bei Shakespeare eine echte Tragödie war, wendet sich bei Lubitsch zur teilweise grotesken Posse, die als Komödie mit einem Happy End aufwartet: Auch hier ist es eine Liebschaft zwischen Kindern zweier verfeindeter Familien, doch nicht bloĂ schlĂ€gt der Liebestod am Ende fehl, woraufhin die einsichtigen Familien dann doch noch einer Partnerschaft zustimmen, sondern auch die erbitterte Feindschaft trĂ€gt als trivialer Nachbarschaftsstreit wahrhaft absurde ZĂŒge. So prĂ€sentiert sich die unter anderem mit Gustav von Wangenheim und Jakob Tiedtke besetzte “Romeo and Juliet”-Variante als heitere Posse, die in verschneiter Schwarzwald-Kulisse um allerlei Lokalkolorit bemĂŒht ist und vor allem in seiner Maskenfest-Episode mit visuellen Witzen reizt.
Lokalkolorit bietet ebenfalls Lubitschs Lustspiel “Kohlhiesels Töchter”, das er ebenfalls gemeinsam mit Hanns KrĂ€ly schrieb, wobei sich beide diesmal in den GrundzĂŒgen an William Shakespeares “The Taming of the Shrew” (1592) hielten, die Geschichte jedoch in die Bayerischen Alpen verlegten. Wie Shakespeares StĂŒck ist diese Komödie ĂŒber zwei Schwestern, deren reizlosere zuerst verheiratet werden muss, ehe die zweite vor den Altar treten darf, in Zeiten moderner Rollenbilder nicht ganz unproblematisch, zĂ€hlte seinerzeit aber zu Lubitschs populĂ€rsten Erfolgen, was der Regisseur damit erklĂ€rte, dass er aus Shakespeares Stoff inmitten bayerischer Berge eine “vollkommen deutsche Sache” gemacht habe. Nicht zufĂ€llig wurde der Film wĂ€hrend der Hochzeit des Heimatfilms zwischen den beginnenden 30er Jahren und den endenden 70er Jahren noch sechsfach verfilmt. Im Vergleich mit “Romeo und Julia im Schnee” (1920) gilt “Kohlhiesels Töchter” nicht bloĂ wegen des langanhaltend erfolgreichen Stoffes als der (trotz aller Rollenbilder) wichtigere Lubitschfilm: auch der visuelle Einfallsreichtum, der etwa einen ungewöhnlichen Hochsitz im verschneiten Wald im ungewöhnlichen LĂ€ngsformat hervorbringt, was Lubitsch in “Die Bergkatze” (1921) noch perfektionieren sollte, zĂ€hlt zu den VorzĂŒgen des Films, der mit Jakob Tiedtke, Henny Porten (in zwei Rollen), Emil Jannings und Gustav von Wangenheim auch die prominentere Besetzung aufweist. Unter den ganz groĂen Lubitsch-Klassikern ist aber auch “Kohlhiesels Töchter” als harmloser Schwank ein wenig in Vergessenheit geraten.
PierrotLeFou
Kommentare und Diskussionen
Keine Kommentare zu „Vor 100 Jahren: Shakespeare, Lubitsch und der Schneefilm“
Um Kommentare schreiben zu können, müssen Sie eingeloggt sein.
Unser News-Bereich wurde überarbeitet und wird in Kürze weiter ausgebaut werden, damit Sie stets aktuell über alle Neuigkeiten rund um die Welt des Films informiert sind.