Genau zwanzig Jahre nach seiner Fertigstellung, nämlich bei den Filmfestspielen in Cannes im Mai 1990, wurde erstmalig der tschechoslowakische Film „Ucho“ gezeigt, dessen bloße Existenz bis heute höchstes Erstaunen hervorrufen muß. Angesichts der politischen Umwälzungen zur Zeit seiner Entstehung – 1969 war gewaltsam der Prager Frühling beendet und die Tschechoslowakei durch sowjetische Truppen besetzt worden – grenzte es an ein Wunder, daß schon das systemkritische Drehbuch an den Zensoren vorbeikam. Und doch gelang es dem Autor Jan Procháska und dem Regisseur Karel Kachyna, „Ucho“ zu vollenden, bevor dieser dann erwartungsgemäß im Giftschrank landete.
Procháska und Kachyna hatten schon seit den frĂĽhen 60er Jahren gemeinsam Filme gemacht und darin jedesmal relativ offen die MiĂźstände der sozialistischen tschechoslowakischen Gesellschaft kritisiert. Obwohl manche dieser Filme nur kurz gezeigt wurden und dann lautlos verschwanden, wurden die Filmemacher dafĂĽr nicht sanktioniert, vielleicht, weil sie gestandene und verdienstvolle Kulturschaffende mit guten Kontakten zur politischen Macht waren und somit nicht zur Generation der Tschechoslowakischen Neue Welle gehörten (diese aber sehr wohl unterstĂĽtzten). Das sollte sich mit „Ucho“ ändern, denn mit geradezu unverfrorener Offenheit zeichnet der Film das wenig schmeichelhafte Portrait eines opportunistischen Politikers (Radoslav BrzobohatĂ˝), den die nackte Panik ergreift, als er hört, daĂź der ihm vorgesetzte Minister beseitigt wurde und er der nächste sein könnte. Geschickt wird dieser Erzählstrang mit der Darstellung einer Ehe verwoben, die zunächst zerrĂĽttet scheint, doch die Erwartungen des Zuschauers werden unterlaufen, denn die zänkische Ehefrau (Jirina Bohdalová) offenbart im Laufe des kammerspielartigen Films unerwartete Qualitäten. Kontrastreich werden in Flashbacks ein ĂĽppiger, alkoholgeschwängerter diplomatischer Empfang der anschlieĂźenden ernĂĽchternden Nacht in der Villa des Ehepaars gegenĂĽbergestellt, als fĂĽr die beiden der lang gehegte Verdacht, daĂź sie abgehört werden, zur bedrohlichen GewiĂźheit wird (das titelgebende Ohr bezieht sich auf die elektronischen Abhörgeräte, die im Haus versteckt sind). „Ucho“ findet fĂĽr diesen Gegensatz der Sphären und Stimmungen starke stilistische Mittel der Bild- und Tongestaltung, während sich die Spannung stetig steigert – unmiĂźverständlich fĂĽhrt der Film vor Augen, daĂź sich in diesem Land zu (post-)stalinistischer Zeit selbst ein hochrangiger Staatsfunktionär nicht sicher sein kann, ĂĽberraschend auf GeheiĂź des “groĂźen Bruders” abgeholt zu werden und spurlos zu verschwinden. Neben dem umgehenden Verbot von “Ucho” bekam auch Kachyna Schwierigkeiten (Procháska starb bereits 1971) und dreht später vorwiegend unverfängliche Kinderfilme.
Bekanntlich waren die 70er Jahre in den USA und der westlichen Welt die Blütezeit des politischen Paranoia-Thrillers, und in mancher Hinsicht nimmt „Ucho“ etwa Francis Coppolas „The Conversation“ (1974) vorweg – besonders verblüffend ist nicht nur die thematische Überlappung (Überwachungstechnologie), sondern auch die prominente Rolle einer Toilettenschüssel in beiden Filmen. Beim britischen Label Second Run ist „Ucho“ sowohl als DVD (Fassungseintrag) sowie als Blu-ray erschienen (Fassungseintrag), wobei letztere mit einem neueren Bildmaster und besseren Extras aufwartet. Worum es geht, verrät die Inhaltsangabe.
ratz
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