Am 8. November 1970 kamen zwei Horrorfilme der Hammer Studios in die Kinos, die auch zusammen als Double Feature angepriesen worden waren: Es handelte sich um “Scars of Dracula”, den nunmehr sechsten Teil der hauseigenen Dracula-Reihe, sowie um “The Horror of Frankenstein”, den nunmehr sechsten Teil der hauseigenen Frankenstein-Reihe. Beide Filme sollten sich auf Bewährtes besinnen und dennoch neue Impulse setzen. Im Fall von “Scars of Dracula” waren die Ausgangsbedingungen nicht unbedingt blendend: Christopher Lee, der schon im Vorgänger zunächst nicht mitwirken wollte, auf Drängen des US-Vertriebs dann aber mit einem extra-hohen Honorar geködert werden konnte – was Anthony Hinds nötigte, das Drehbuch noch einmal umzuschreiben –, war auch ĂĽber ein weiteres Sequel nicht ĂĽbermäßig erfreut und womöglich war es dem Umstand, dass man nicht hunderprozentig auf Lees Mitwirkung vertraute, geschuldet, dass die Wiedererweckung des Grafen wie schon im Vorgänger wieder haarsträubend ausfällt. Hatte das umgeschriebene Drehbuch im vorangegangenen “Taste the Blood of Dracula” (1970) noch dazu gefĂĽhrt, dass Dracula erst zur Filmhälfte mit eher kurioser BegrĂĽndung auferstand, so wird die Auferstehung in “Scars of Dracula” in Sekundenschnelle gleich zu Beginn höcht willkĂĽrlich abgehandelt: Eine flatternde Fledermaus lässt Blut auf die Asche des im Vorgängerfilm zerbröselten Grafen tropfen, der daraufhin sogleich Gestalt annimmt und durch einen neuen Dracula-Film geistern kann. Das gleicht beinahe der gänzlich ausbleibenden Auferstehungserklärung im letzten echten Universal-Dracula “House of Dracula” (1945) und wirkt etwas lieblos drangepappt, aber dennoch gehört “Scars of Dracula” als letzter Hammer-Dracula im viktorianischen gothic horror-Setting zu den ĂĽberzeugendsten Filmen der Reihe: Roy Ward Baker, ohnehin einer der routiniertesten Genrefilmer der Hammer Studios, machte es sich auf Drängen der Produzenten zur Aufgabe, mit drastischen Schockeffekten nicht zu sparen. In stilvollen Kulissen, die vor allem von kontrastreichen blauen und roten Farbakzenten dominiert werden, reihen sich horrible Grausamkeiten aneinander, welche die Latte des Darstellbaren innerhalb der Hammer-Ă„sthetik nochmals etwas höher legten: Dracula straft sein Faktotum auf sadistische Weise, Dracula erdolcht eine zu gierige Vampirin auf drastische Weise in ihrem Bett, Widersacher hängen schon einmal tot an Metallhaken an der Wand und das Gesicht eines Geistlichen hängt nach heftiger Fledermausattacke im wahrsten Sinne des Wortes in Fetzen. Aber Baker bietet noch ganz andere Schauwerte: Hatte schon “Dracula: Prince of Darkness” (1966) BemĂĽhungen erkennen lassen, in “Dracula” (1958) noch nicht genutzte Elemente aus Stokers Roman umzusetzen, so brachte Baker zum Unwillen der Produzenten noch das kostenspielige, echsengleiche Klettern des Vampirs an seiner Schlossmauer in den Film ein, was eine zusätzliche Kulisse nötig werden lieĂź. Gelohnt hat es sich, denn Draculas Schloss wirkt in “Scars of Dracula” wie eine schier uneinnehmbare Festung und die Ruhestätte des Grafen ist in unerreichbaren Höhen nur durch die Fenster zugänglich, unter denen tiefe Gräben lauern. In bewährter Studio-Ă„sthetik ist “Scars of Dracula” somit ein Vertreter der Reihe, der spektakuläre Kulissen, viel gothic horror und erheblich gesteigerten Sadismus zugleich liefert – und Lee wirkte selten herrischer in seiner Paraderolle. Heute durchaus wertgeschätzt, erreicht der (zeitlebens bei Christopher Lee nicht ganz so beliebte) Film seinerzeit aber nicht den Kassenerfolg des Vorgängers. FĂĽr Hammer und den Drehbuchautoren Anthony Hinds bedeutete dies: Dracula sollte kĂĽnftig in der Gegenwart walten…
Innerhalb der Frankenstein-Reihe der Hammer Studios hatte bereits der fĂĽnfte Film, “Frankenstein Must be Destroyed” (1969) die Erwartungen an das Einspielergebnis nicht völlig erfĂĽllt und war hinter seinem Vorgänger zurĂĽckgeblieben. “The Horror of Frankenstein” war dann 1970 bereits die Folge einer grundsätzlichen Neuorientierung. Hatte man sich zuvor auf Peter Cushing in der Rolle Baron Frankensteins konzentriert, der zunehmend selbst monströsere, skrupellosere ZĂĽge annahm, so verzichtete man nun auf den populären Mimen des britischen gothic horror – und der renommierte hauseigene Autor Jimmy Sangster, der unter anderem bereits “X the Unknown” (1956), “The Curse of Frankenstein” (1957), “Dracula” (1958), “The Revenge of Frankenstein” (1958), “The Mummy” (1959), “The Brides of Dracula” (1960), “Dracula: Prince of Darkness” (1966) sowie etliche Hammer-Pychothriller der 60er Jahre zu Papier gebracht hatte, durfte in Personalunion als Autor und Regisseur eine Art Reboot vorlegen, nachdem die Frankenstein-Reihe auf innere Kohärenz ohnehin nicht ganz so stark geachtet hatte. Es war Sangsters erste Regiearbeit, die er sich einforderte, um im Gegenzug ein frĂĽheres, wenig wertgeschätztes Drehbuch gehörig umzuschreiben. Letztlich blieb von diesem kaum noch etwas ĂĽbrig und Sangster legte einen ganz ureigene Adaption des berĂĽhmten, von Mary Shelley ersonnenen Stoffes vor. Ralph Bates durfte in die Rolle des Barons schlĂĽpfen, seine Schöpfung verkörperte David Prowse, der später vor allem als Darth Vader bekannt wurde (bzw. unbekannt blieb). Als Schöpfer und Schöpfung toben sie durch einen ungewöhnlich hellen, ungewöhnlich schwarzhumorigen Film, der zwar von einem der wichtigsten Hammer-Horror-Köpfe ersonnen und inszeniert worden war und inhaltlich zu den ersten Erfahrungen des beĂĽhmten mad scientists mit dem Erschaffen kĂĽnstlichen Lebens zurĂĽckkehrte, mit dem neuen, humorigen Tonfall jedoch wenig Erfolg hatte, sodass man nach langer Wartezeit noch einmal auf die Vorgängerfilme zurĂĽckgriff und “Frankenstein and the Monster from Hell” (1974) ganz gewohnt mit Peter Cushing folgen lieĂź. (Prowse spielte hier abermals das Monster.)
Beide Filme, die ihre populären Figuren des gothic horrors inmitten der Umbruchsphase zwischen klassischem und modernem Horrorfilm präsentieren und mit ihren gewünschten Neuerungen nicht den erhofften Kassenerfolg verbuchen konnten, liegen in unterschiedlichen Hammer Films Collections von Studiocanal sowohl auf DVD (Fassungseintrag von JasonCane) als auch auf Blu-ray (Fassungseintrag von XenoHead04) vor.
PierrotLeFou
Kommentare und Diskussionen
1 Kommentar zu „Vor 50 Jahren: Hammer Horror Double Feature“
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Auch wenn ich da eine Mindermeinung vertrete, halte ich “Scars of Dracula” fĂĽr den eigentlichen Höhepunkt der Hammer-”Dracula”-Reihe.