Die vor bald 100 Jahren verstorbene Theaterbühnenlegende Sarah Bernhardt (1844-1923) hatte ihrerzeit ihr Bühnenrepertoire mit Männerrollen zu erweitern begonnen. Dabei handelte es sich keinesfalls um “Charley’s Aunt”-Stoffe unter umgekehrten Vorzeichen, nicht einmal unbedingt um echt feministische oder queere Aneignungen, sondern um eine aus individuellen Repertoireerweiterungsgründen erfolgte Wahl, die auch auf einen relativen Mangel an großen Frauenfiguren in der Theaterstückgeschichte zurückging und eben in der langen Tradition von Hosenrollen stand, welche schon lange zur Bühnenillusion gehörte. Zu diesen Männerrollen Bernhardts gehörte auch Shakespeares “Hamlet” – und den Prinzen spielte sie auch einmal vor der Kamera im kurzen “Le duel d’Hamlet” (1900). Und was könnte sich auch besser eignen als ein Shakespeare-Stoff für Hosenrollen, gehörte es doch gerade zur Shakespearebühne, die Illusion über das blanke Wort unter weitgehender Aussparung von Kulissen zu erzeugen und (wenn auch nicht ausschließlich) mit Schauplatz-Schildern zu arbeiten.
Von “Hurra! Einquartierung!” (1913), “Fräulein Piccolo” (1915) oder “Das Liebes-ABC (1916)” (1916) – Magnus Stifters Klassiker mit Asta Nielsen (Anniversary-Text) – bis hin zu “Der Page vom Dalmasse-Hotel” (1933) gehörten die angesprochenen Hosenrollen auch zum deutschen Film fest dazu, nun allerdings tatsächlich als umgekehrte “Charley’s Aunt”-Stoffe, in denen Frauen keinesfalls Männer spielten, sondern Frauen, die sich als Männer verkleideten. Es war eine Travestie, die zwischen fin de siecle-Tradition und Goldenen 20ern auch eine unterschwellig anrüchige Erotik transportierte.
Und 1921 schlüpfte nun Asta Nielsen in die Rolle Hamlets – irgendwo zwischen den populären Travestie-Komödien wie “Hurra! Einquartierung!”, “Das Liebes-ABC”, “Ich möchte kein Mann sein” (1918), “Der Geiger von Florenz” (1926), “Liebeskommando” (1931) oder “Der Page vom Dalmasse-Hotel” und der Hosenrolle aus über drei Jahrhunderten Theatergeschichte. Der Film nimmt schon überdeutlich Bezug auf Shakespeares Stück, aber eben auch auf die zeitgenössische Shakespeare-Forschung, die des Dichters mutmaßlichen Vorbilder zu berücksichtigen versuchte – und so drang auch die These von der verkleideten Prinzessin in diesen Stummfilm, die als nur vermeintlich männlicher “Hamlet” vor einer Eheschließung mit Ophelia steht, welche in ihrer doch recht sonderbaren Beziehhung zu Hamlet ihr nasses Grab finden wird. Und so erzählen die Regisseure Sven Gade und Heinz Schall mit dem Autoren Erwin Gepard nach Studien Professor Edward Payson Vinings ganz ernst von Hamlets Geschichte, die eben mit der These angereichert worden ist, dass es sich beim Thronfolger um eine als Mädchen geborene, aus Machtkalkül als Junge ausgegebene Gestalt handelt. Und so verließ Asta Nielsen das Gebiet der auch von ihr bereicherten Hosenrollenfilmkomödie und näherte sich der Hosenrolle des Theaters an: aber der reichlich mit Kulissen und Dekor ausgestattete Stummfilm, der freilich nicht auf die Wortkulissen der Shakespearebühne setzte, musste die weibliche Darstellerin eben noch erklären…
Informativ ausgestattet liegt “Hamlet” seit knapp zehn Jahren in der Edition Filmmuseum auf DVD vor: Fassungseintrag vonFreddy J. Meyers
PierrotLeFou
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