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Eine runde Sache: die Anniversary-Ecke

Vor 50 Jahren: Rosa von Praunheims denkwürdigste Klassiker

17. Februar 2021 | Stichwörter: 1970er, Agitationsfilm, camp, Deutschland, Jubiläum, Klassiker, Komödie, Kracht, Kryn, Neuer-Deutscher-Film, Spielfilm, von-Praunheim


Die Bettwurst (1971) & Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt (1971)

An Rosa von Praunheim spalten sich die Gemüter: Als er vor 30 Jahren auf dem Gipfelpunkt der AIDS-Krise die Showgeschäft-Kollegen Hape Kerkeling und Alfred Biolek als schwul outete, um die Zunahme der Toleranz gegenüber Homosexuellen zu beschleunigen (bzw. um die grassierende Homophobie ein wenig zu hemmen), da erhitzte er die Gemüter ganz erheblich. Weitere 20 Jahre zuvor hatte er sich gleich mit zwei Filmen als der deutsche queer-schwule Filmemacher schlechthin hervorgetan. Denn nicht etwa “Armee der Liebenden oder Revolte der Perversen” (1979), “Horror Vacui – Die Angst vor der Leere” (1984), “Ein Virus kennt keine Moral” (1986), “Männer, Helden, schwule Nazis” (2005) oder “Härte” (2015) sind die markantesten Werke von praunheimscher Filmkunst, sondern der am 2. Februar 1971 uraufgeführte Spielfilm “Die Bettwurst” und der am 4. Juli 1971 uraufgeführte Agitationsfilm “Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt”.
“Die Bettwurst” ist fast schon eine Art Unikum im deutschen Film, selbst wenn man die Offenheit und Experiemtierfreude der damaligen Filmlandschaft zwischen studentischen Agitationsfilmen, kleinem Fernsehspiel und Neuem Deutschen Film berücksichtigt. Vielleicht ist er für die deutsche Filmlamdschaft ein bisschen das, was “Pink Flamingos” im Jahr darauf für die USA sein sollte: aus seiner Liebe für John Waters hatte Rosa von Praunheim auch nie einen Hehl gemacht. “Die Bettwurst” ist eine semidokumentarische Liebesgeschichte mit LaiendarstellerInnen aus Rosa von Praunheims Umfeld, die gegen Ende in eine hanebüchene Genre-Persiflage umschlägt. Luzie (Lucy Kryn) und Dietmar (Dietmar Kracht) sind das Liebespaar an der Kieler Förde, das vielleicht nur zusammenkommt, weil die ungleichen Figuren sich in ihrer Außenseiterstellung gleichen. Dietmar ist – im besten Sinne – eine Schwuppe par excellence, Luzie eine biedere Sekräterin zwischen Schrebergarten- und Tanztee-Idylle. Ihre Liebe umfasst das Einstudieren von Staubsauger-Funktionen, das Verschenken von Bettwürsten oder eben das Tanzen zu Schlagern und Hammondorgel-Klängen zwischen Kaffee, Kuchen und RentnerInnen… bis die kriminelle Vergangenheit Dietmars beide einholt und “Die Bettwurst” von einer Studie miefiger deutscher Spießbürgerlichkeit der Rudi-Carell-70er-Jahre inklusive prekärer Situationen minder priveligierter Milieus überschlägt in eine launige Camp-Version eines Crime-Dramas. Und an die Stelle der mit viel Verve vorgetragenen Zeilen wie “Ich will immer, dass du bei mir bleiben sollst…”, “”Ich brauche dich wie die Luft wo ich atme!” oder “…wenn im Sommer am Neckar die Motorboot entlang fließen…” treten plötzlich Dietmars dramatische shakespearsche Klagen und Luzies minutenlanges Röcheln im Würgegriff der Gangster. Muss man gesehen haben, um es zu glauben. Der so anstrengende und nervenzerrend wie peinliche und trashige Spielfilm avancierte schnell zum Kult; atmet noch dazu eine ordentliche Portion Queerness, die ihn zum Szene-Klassiker geraten ließ, selbst wenn hier auf der Handlungslogik-Ebene alles ganz hetero vonstatten geht. “Die Berliner Bettwurst” (1973) konnte zwei Jahre darauf nicht mehr an diese Beliebtheit anknüpfen. Beide Filme sind Teil der absolut Medien-DVD: Fassungseintrag von CinemaniaX und TakaTukaLand
Direkt als schwuler Agitationsfilm auf die schwule Szene zielend ist “Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt”, dessen umständlicher Titel ein wenig an Hellmuth Costards “Die Unterdrückung der Frau ist vor allem an dem Verhalten der Frauen selber zu erkennen” (1970) gemahnt. Kein Wunder, dass der Schwulenfilm und der Frauenfilm etwa zeitgleich zur Blüte kamen: Germaine Greer hatte die Parallele zwischen (passiven) Schwulen und Frauen in dieser Zeit deutlich betont. In ihrem Geficktwordensein teilen sich Frauen und Schwule eine vermeintlich passive, untergeordnete Rolle, die automatisch in gesellschaftliche Geringschätzung mündet. “Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen”, lautet eine der Forderungen des Films, der allerlei Bilder und Modern aus der schwulen Szene darbietet, die irendwo zwischen dem Stolz auf die eigene Schwulheit und dem verklemmten Wunsch nach spießbürgerlichster Normalität andererseits oszilliert. Will der Schwule zwischen Klappen cruisen oder will er die Schwulenehe als Kopie der Hetero-Normalität leben? Die hier angestoßene Frage erwies sich kürzlich erst als hochaktuell. War “Die Bettwurst” wohl der (bis heute) beliebtere (bzw.: beliebteste) Rosa von Praunheim, so war “Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt” der einflussreichere Rosa von Praunheim, der heute mehr denn je hierzulande für ein halbes Jahrhundert explizit schwuler Filmkunst einsteht.
Als Kino Kontrovers #15-DVD liegt dieser Klassiker bei Bavaria/EuroVideo auf DVD vor: Fassungseintrag von TakaTukaLand


PierrotLeFou



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