Wenn ein polnisch-jüdischer Filmemacher, der über Frankreich nach Hollywood gekommen war, sich in England am britischen Nationalheiligtum Shakespeare abarbeiten durfte, so mußte dieser Regisseur schon jemand Besonderes sein. Roman Polanski war dieser Jemand, doch obwohl er vor allem nach „Rosemary’s Baby“ (1968) als Regiestar gefeiert wurde, floppte sein „Macbeth“ an den amerikanischen Kinokassen, nachdem er am 1. Dezember 1971 im New Yorker Playboy Theater uraufgeführt wurde.
Am Film selbst kann der Mißerfolg nicht gelegen haben: Gemeinsam mit dem britischen Theater- und Shakespeare-Spezialisten Kenneth Tynan brachte Polanski das im Mittelalter spielende Drama vom ehrgeizigen schottischen Königsmörder Macbeth auf Filmlänge. In den Hauptrollen überzeugen Jon Finch und Francesca Annis mit ihrem mühelos wirkenden Vortrag der Renaissanceverse. Ausstattung und Szenenbild lassen die Welt des 11. Jahrhunderts auf äußerst naturalistische und sinnliche Weise lebendig werden, ohne jede Anmutung eines Hollywood-Kostümschinkens. Und obwohl das Blut in Shakespeares Vorlage wie auch in Polanskis Film ein Leitmotiv ist, war es wohl die rohe, sehr realistisch wirkende Gewalt im Film – Männer werden verstümmelt, Kinder getötet, Frauen geschändet – die vor allem das amerikanische Publikum verstörte. Denn „Macbeth“ war Polanskis erster Film, nachdem 1969 seine hochschwangere Frau Sharon Tate bestialisch ermordet worden war. Da das Verbrechen anschließend von der Presse ausgeschlachtet wurde und damit große Aufmerksamkeit auf Polanskis private und berufliche Umstände gerichtet war, paßte „Macbeth“, der von Playboy-Magnat Hugh Heffner finanziert wurde und neben der Brutalität auch kurze Nacktszenen enthielt, wohl nicht in die damals gängige Vorstellung von Traumabewältigung. Doch ist natürlich der Gedanke nicht von der Hand zu weisen, daß die Wahl des Sujets, die pessimistische Grundhaltung sowie die Gewaltdarstellungen von den persönlichen Erfahrungen ihres Regisseurs geprägt sind – hatte doch Polanski bereits eine äußerst schwere Kindheit hinter sich (seine Eltern wurden während der deutschen Besatzung aus dem Krakauer Ghetto verschleppt und ermordet, er selbst überlebte im Versteck und bei Zieheltern). Die Fähigkeit und Kraft, solche Erlebnisse nicht nur zu überstehen, sondern daraus schöpferische Impulse zu ziehen, muß auch dem schärfsten Kritiker Bewunderung abverlangen. Es ist genau diese einzigartige Mischung aus Schicksalsschlägen, Skandalen und künstlerischer Brillianz, die das öffentliche Interesse an Polanski bis heute wachhält.
Während also Polanski selbst zum Medienphänomen geworden ist und seine persönliche Tragödie zumindest teilweise eine poetische Gerechtigkeit in Tarantinos „Once Upon a Time in Hollywood“ (2019) gefunden hat, kann sich sein „Macbeth“ auch ohne den Kontext seiner Entstehung oder des Privatlebens seines Regisseurs behaupten, sie genießt heute den Ruf, eine der besten Shakespeare- bzw. Macbeth-Verfilmungen zu sein. „Macbeth“ steht aktuell in Deutschland lediglich auf Streamingportalen zur Verfügung, jedoch hat die Criterion Collection eine mit hochinteressanten Interviews ausgestattete Blu-ray-Ausgabe in England (Fassungseintrag) und in den USA (Fassungseintrag) herausgebracht. Die lesenswerte OFDb-Kritik von Der Kre-Lo beschreibt ausgewählte Aspekte der Inszenierung und der Filmmusik.
ratz
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1 Kommentar zu „Vor 50 Jahren: Ein Polanski-Film mit schwerer Bürde“
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