1922 spielte Harold Lloyd – der strebsame, etwas biedere, oftmals schĂĽchterne junge Mann mit runder Hornbrille, Fliege und unaufregendem Herrenanzug, der in unzähligen Komödien von einer Turbulenz in die nächste stolperte – in nur zwei Filmen mit: beides EinstĂĽnder, die man 1921 noch etwas selbstverständlicher als heute als Langfilme wahrgenommen hatte. Der Langfilm wird – wie der Kurzfilm – unterschiedlich definiert: werden fĂĽr den Kurzfilm häufig Laufzeit-Obergrenzen von 30, 45 oder 60 Minuten vorgegeben, werden Langfilm-Untergrenzen mitunter auf 60 oder 40 Minuten festgelegt. Diese mittellangen Filme bilden somit ein uneinheitlich eingestuftes schwammiges Grenzgebiet; dennoch wurde – mit einer Laufzeit von etwa 46-47 Minuten – der am 25. Dezember 1921 uraufgefĂĽhrte “A Sailor-Made Man” als erster Langfilm Harold Lloyds aufgefasst, der zuvor in diesem Jahr noch in vier Kurzfilmen aufgetreten war. In “A Sailor-Made Man” muss sich Lloyd in den Augen eines stinkreichen zukĂĽnftigen Schwiegervaters profilieren, ehe er seine Angebete (Mildred Davis) ehelichen darf – und heuert so bei der Navy an, derweil Schwiegerpapa und Braut in spe seinen Werdegang verfolgen, bis die junge Dame dabei allerdings vom Maharadscha von Khairpura-Bhandanna entfĂĽhrt wird… Zeit fĂĽr Lloyd, nach einigen vermeintlichen Heldentaten endgĂĽltig den Helden in sich zu entdecken: er rettet seine kĂĽnftige Gemahlin, indem er zunächst mit ihr die Flucht ergreift, um sich dann vor den zahlreichen Verfolgern zu verstecken, sich daraufhin sogleich an ihre Fersen zu heften und sie, derweil sie ziellos durch die Gassen hetzen, nach und nach hinterrĂĽcks niederzuknĂĽppeln. Heute mögen die rassistischen Stereotype das VergnĂĽgen etwas trĂĽben; doch ein Harold-Lloyd-affines Publikum kann sich darĂĽber freuen, dass “A Sailor-Made Man” nicht in ein vorgegebenes Längenformat gegossen worden ist, sondern aus sich heraus auf besagte 46-47 Minuten angewachsen ist und somit eine ausgewogene Dramaturgie bietet (auch wenn wie in frĂĽheren Stummfilm die Gliederung in verschiedene Episoden deutlich anzumerken ist). The 10 Disc Collection: Harold Lloyd von Universal (Fassungseintrag von XenoHead04)
Besser und Lloyd-typischer geraten ist indes der letzte echte Kurzfilm Lloyds, den – wie auch “A Sailor-Made Man” – der auf Lloyd abonnierte Slapstick-Gigant Fred C. Newmeyer inszenierte, der auch kĂĽnftig (bis Mitte der 20er Jahre) weitere Lloyd-Komödien drehte. Die Rede ist von “Never Weaken”, der ab dem 22. Oktober 1921 in die Kinos gelangte und ausgesprochen typisch fĂĽr Harold Lloyd ist: zigfach kraxelten Lloyds Figuren in schwindelerregenden Höhen an BaugerĂĽsten oder Hochhausfassaden herum, am prominentesten sicherlich in Newmeyers und Sam Taylors “Saftey Last!” (1923). Im Fall des drei Rollen fĂĽllenden “Never Weaken” betrifft dieses Motiv den dritten Akt: Nachdem Lloyd die drohende KĂĽndigung seiner in derselben Hochhaus-Oberetage arbeitenden Angebeteten (Mildred David) verhindert hat und infolgedessen ihre Hochzeitsplanungen missversteht, einen erfolgreichen Nebenbuhler vermutet und seinen Suizid plant, transportiert ein durchs offene Fenster in sein BĂĽro dringender Stahlträger den angehenden Selbstmörder ins Freie hinaus, wo er zu den Harfenklängen eines Musiklehrers als erstes nach dem Augenöffnen eine steinerne Engelsstatue erblickt. Höchst körperbetont verlegt sich Dramaturgie nun auf den turbulenten Abstieg auf sicheren Boden: ein nervenzerrendes Auf und Ab zwischen Klettern, Runterfallen und Hochgezogen-werden… Das ist bester Harold Lloyd – und wird meist auch als einer seiner wichtigsten Kurzfilme genannt. Auch dieser Film ist auf Universals 10 Disc Collection zu finden, liegt aber zudem auch in der arte Edition Harold Lloyd. Kurzfilme (1918-1922) bei absolut Medien auf DVD vor: Fassungseintrag vonpm.diebelshausen
Beide Editionen enthalten unter anderem auch noch den am 27. März 1921 uraufgefĂĽhrten “Now or Never”, dessen Regie sich Newmeyer mit Hal Roach teilte,  welcher seit 1915 Harold-Lloyd-Filme drehte und mit seinem Hauptdarsteller und Freund den groĂźen Durchbruch erzielte (um später etliche Our Gang-Klassiker und noch später zahlreiche Laurel & Hardy-Klassiker zu drehen bzw. zu produzieren). Roachs Zusammenarbeit als Lloyds Regisseur endete mit dem im September 1921 uraufgefĂĽhrten “I Do”, der zu den weniger aufregenden Lloyd-Filmen zählt, derweil er als umtriebiger Produzent noch bis 1923 mit Lloyd zusammenarbeitete, der an Roachs Seite zum dritten groĂźen Hollywood-Komiker neben Buster Keaton und Charlie Chaplin aufgestiegen war. Die Freundschaft wurde durch die endende Zusammenarbeit indes nicht getrĂĽbt und hielt bis zu Lloyds Tod im März 1971: zu diesem Zeitpunkt lag Lloyds letzter Film bereits 24 Jahre zurĂĽck, aber seine Popularität war groĂź genug, dass Peter Bogdanovich mit Hauptdarsteller Ryan O’Neal nicht nur Cary Grant, sondern auch Harold Lloyd in “What’s Up, Doc?” (1972) und später in “Nickelodeon” (1976) huldigte. “Now or Never” jedenfalls gehört zu besten späten Roach-Regiearbeiten im Lloyd-Sektor: Hier hat sich Lloyds Freundin (auch hier: Mildred Davis) als Kindermädchen unerlaubterweise mit ihrem Zögling auf die Reise begeben, zu der sich auch Lloyd gesellen soll, der jedoch seines Autos und seines Geldes beraubt als Schwarzfahrer den Zug mit Schlafwagen zu betreten hat. Dummerweise zählen auch die Eltern des Kindes zu den Zuggästen. Und so muss Lloyd mal Babysitter spielen, mal im dunklen Schlafwagen seine Freundin verwechseln, mal dem Schaffner entfliehen – und ist in diesem beliebten Lloyd-Kurzfilmklassiker sowohl unterhalb eines fahrenden Zuges als auch auf dem Dach eines fahrenden Zuges zu erleben.
Lloyd und Davis, die in diesen drei Filmen – nicht erst-, nicht letztmals – die begehrte Frau an seiner Seite spielte, sollten im Februar 1923 den Bund der Ehe eingehen. Im Film war Davis (von 1919) bis 1923 Lloyds Gefährtin – im Privaten blieb sie es bis zu ihrem Tod im Jahr 1969. Hervorgegangen waren aus dieser Ehe drei Kinder: das jĂĽngste, der Sänger und Schauspieler Harold Lloyd Jr., folgte seinen Eltern am 9. Juni 1971 gerade einmal 40jährig nach…
PierrotLeFou
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