Unter Marco Ferreris zumeist satirischen Dramen und Komödie ragt der am 3. Mai 1972 uraufgefĂĽhrte “Liza” ein wenig heraus. Eigentlich machte sich Ferreri in seinen späteren Filmen (“La grande bouffe” (1973), “La dernière femme” (1976), “Ciao maschio” (1978), “Il futuro è donna” (1984), “I Love You” (1986)) immer wieder einen SpaĂź daraus, Männer als beziehungs- und letztlich lebensuntaugliche Typen zu präsentieren, derweil er in den frĂĽheren Filmen vor allem die Frauen als Opfer männlicher Misogynie präsentierte (“La donna scimmia” (1963), “L’harem” (1967)): Zumindest liebäugelte er sichtlich mit der Emanzipation der modernen Frauen und einer Kritik an patriarchalischen Strukturen. Ein “Dillinger è morto” (1969) – mit Michel Piccoli, der auch in “Liza” zu sehen ist – war dann schon eine kleine Irritation, insofen dort der Ausbruch aus einem festgefahrenen Alltagstrott mit der positiv konnotierten Selbstverwirklichung und der Befreiung von Zwängen einherging, zugleich aber mit sehr schwarzem Humor auch die langweilige Ehefrau vom Protagonisten im Rahmen seines Ausbruchs aus dem geregelten Leben erschossen wird. Auch “Liza” bricht ein wenig mit den Haltungen anderer Ferreri-Filme, was hier wohl noch ein bisschen stärker auffällt, da es sich beinahe um ein ZweipersonenstĂĽck ĂĽber ein Paar auf abgelegener Insel handelt.Vielleicht liegt der Grund darin, dass Ferreri hier mit Jean-Claude Carrière und Ennio Flaiano einen Roman Flaianos verfilmte und keine eigens ersonnene Geschichte umsetzte. Besetzt mit Marcello Mastroianni und Catherine Deneuve, die auch im Privatleben liiert waren, dringt dieser Ferreri eher in provozierende Gefilde vor, die nicht unbedingt sogleich eine feministischen Ausrichtung erkennen lassen und die eine Lina WertmĂĽller mit “Travolti da un insolito destino nell’azzurro mare d’agosto” (1974) oder Marcello Fondato mit “A mezzanotte va la ronda del piacere” (1975) bereicherten, jeweils mit Giancarlo Giannini in einer der Hauptrollen: auf unterschiedliche Weise ging es dort wie eben auch bei Ferreri um eine Mann-Frau-Beziehung, die von männlicher Dominanz geprägt ist (wenngleich daraus nicht unbedingt eine feste Hierarchie ergibt). Der gerade bei Fondato irritierend leichtfertige Humor, der die Ohrfeigen und PrĂĽgeleinheiten des Mannes an der Frau begleitet, verleiht dieser Satire ĂĽber italienischen Machismo gerade heutzutage im RĂĽckblick einen problematischen Anstrich. Den kann man auch bei Ferreri finden, wo Deneuve, die frisch ihren vermögenden Mann verlassen hat, auf einer Insel den Einsiedler Mastroianni vorfindet – und bald so eifersĂĽchtig auf dessen Beschäftigung mit seinem HĂĽndchen ist, dass sie diesen beseitigt und selbst ganz freiwillig in die hĂĽndische Rolle schlĂĽpft, um sich das Interesse des Mannes zu sichern. Aber auch hier – und das eint den Film mit den erwähnten anderen Filmen – lässt sich keine feste Hierarchie ausmachen, gibt es immer noch einen Unterschied zwischen Macht und Schein-Macht. Und so ist die oberflächlich als sadomasochistische Romanze misszuverstehende Robinsonade eine Verhandlung der Geschlechterverhältnisse in Italien nach Beginn der Frauenbewegung, in der sich reaktionäre und progressive Klischees spannend vermengen. Hier fehlt die Eindeutigkeit, die einige von Hollywoods Post-#MeToo-Dramen momentan ausmacht; stattdessen wird widersprĂĽchlich, uneindeutig, aber eben auch recht differenziert ĂĽber Trieb und Kultur sinniert.
Bei Minerva Classic liegt der Film englisch untertitelt auf DVD vor, um die Ferreri-Komplettist(inn)en kaum umhinkommen.
PierrotLeFou
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