Zur diesjährigen Walpurgisnacht soll nicht einfach bloß an schauerliche Filmklassiker erinnert werden, sondern etwas konsequenter an Klassiker des Hexenfilms. Und diesbezüglich stellen die Jahre 1922 und 1972 jeweils Schlüsselmomente dar: Am 18. September 1922 kam Benjamin Christensens “Häxan” erstmals auf die Leinwand, wo er sehr bald Stein des Anstoßes wurde. Es sollte letztlich aber Christensens Hauptwerk sein und Filmgeschichte schreiben: als schon früh mit essayistischen Erzählformen hantierender Streifen, als extrem stimmungsvolle, schauerlich-schwarzromantische Bilder beherbergender Streifen. Der Film vermengt Spielfilmsequenzen mit dokumentarischen Sequenzen, ohne fortlaufende Handlungen, getragen von einer durchaus interpretierenden Darbietung des Hexenglaubens. Eingeführt wird der Film mit einer Vorführung historischer Dokumente zum Dämonen- und Aberglauben, denen bald Inszenierungen des Hexentreibens folgen, wie man es sich in der Zeit des Hexenglaubens vorgestellt hat. Er folgen kurzfilmartige Episoden, die Anklage und Verhör vermeintlicher Hexen schildern, inklusive Visualisierungen falscher Geständnisse – etwa rund um einen Hexensabbat. Christensen selbst leistet sich in diesem Rahmen einen sehenswerten Auftritt als Teufel. Wieder eher dokumentarische angelegt, werden im Folgenden die Techniken peinlicher Verhöre vorgeführt, ehe die Brücke in die damalige Gegenwart geschlagen wird: Was einst als Hexerei verschrieen war, erscheint in der moderneren Perspektive als Wahn und Hysterie, worauf nicht mehr mit Verhören und Hexenverbrennungen, sondern mit Psychatrien reagiert wird. Sieht man davon ab, das sich einige der bildgewaltigen Szenen ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben, so ist vor allem die (heute freilich veraltete, aber richtungsweisende) inhaltliche Konzentration auf Psychologie und Machtverhältnisse ein Anküpfungspunkt für das Hexenverständnis ab 1968. Potemkine Films hat letztes Jahr eine Dual Format Edition des Films herausgebracht: Fassungseintrag von Ronny C.
1968, Christensens Klassiker erlebt hier in neuem Gewand seine einflussreiche Wiederaufführung, wurde immerhin zu Halloween die Women’s International Terrorist Conspiracy from Hell – kurz: W.I.T.C.H. – gegründet. Und 1972 haben Barbara Ehrenreich und Deirdre English mit “Witches, Midwives, and Nurses: A History of Women Healers” (1972) den einflussreichen Essay vorgelegt, der die Hexenverfolgung als Mittel männlichen Machterhalts einstufte. Zwar wird die Frage, ob die Hexenverfolgung als Frauenverfolgung zu sehen ist, bis heute unterschiedlich eingestuft, aber zwischen 1968 und 1972 war aus dieser Lesart ein bedeutender Bezugspunkt für die Frauenbewegung geworden. Fünf Jahre später, 1977, wurde die Walpurgisnacht dann auch zum feministischen Feiertag umgedeutet.
Als George A. Romeros “Hungry Wives”, bekannter als “Season of the Witch”, im Mai 1972 uraufgeführt wird, war dieser Diskurs vor dem Hintergrund der Frauenbewegung kaum zu übersehen. Was Romero hiermit ablieferte, stellt im Grunde ein Gegenstück zu Sidney Hayers Horrorklassiker “Night of the Eagle” (1960) nach Fritz Leiber dar: Musste sich dort ein Mann gegen seine bedrohliche Ehefrau, eine waschechte Hexe, verteidigen, so erzählt Romero vom bitteren Hausfrauendasein seiner Protagonistin, die im goldenen Käfig nach Selbstverwirklichung strebt und sich schließlich im Milieu der neuen Hexen ihres Mannes entledigt. Allerdings – das ist der Clou bei Romeros Annäherung an die feministische Hexe – befindet sie sich letztlich in der vermeintlich befreienden Schwesternschaft auch wieder in neuer Gefangenschaft.
Man sollte sich hüten, darin eine konservativen Seitenhieb auf die Frauenbewegung zu sehen. Romero betont lediglich, dass sich Freiheit und Entfaltung nicht im Kontext festgeschriebener Strukturen erreichen lassen: unabhängig davon, von welcher Seite sie kommen. Bei capelight wurde der Film im letzten Jahr als Bonusfilm und deutsche Erstveröffentlichung herausgberacht: Fassungseintrag von MMeXX
Ein frühes Dokument aus dem Sektor der Frauenbewegung legte Jane Arden im Oktober 1972 mit “The Other Side of the Underneath” vor. Arden studierte erfolgreich an der Londoner Royal Academy of Dramatic Art, um ab den späten 40er Jahren als Schauspielerin im Fernsehen aufzutreten und bald darauf Stücke für TV und Bühne zu verfassen. Ihr Gatte inszenierte einiges davon für Fernsehspiele. In den 1970er Jahren wandte sie sich dem Feminismus zu, kritisierte das System der Psychatrie (die ihrerzeit freilich anders zu beurteilen war als heutzutage und vor allem in Ken Keseys Roman “One Flew Over the Cuckoo’s Nest” (1962) und Milos Formans gleichnamiger Verfilmung aus dem Jahr 1975 nachhaltig der Kritik ausgesetzt wurde) und schrieb für ihre Holocaust Theatre Company ein Stück namens “A New Communion for Freaks, Prophets and Witches” (1970), das die Grundlage ihres Films “The Other Side of the Underneath” bildet, der noch auf andere ihrer Stücke leicht Bezug nimmt. Die positiv konnotierten Freaks der 1968er-Gegenkultur und die Hexen der jungen Frauenbewegung kündigte der Titel des Stückes noch an, in dessen Zentrum dann eine Gruppentherapie von Frauen steht. Der hochgradig avantgardistische, experimentelle Film behandelt Protagonistinnen, die ganz im Sinne Christensens früher dem Hexenglauben zum Opfer hätten fallen können (und die hier teilweise künstliche Hexennasen tragen); die aber nun nicht in der Psychatrie (wo noch viktorianische Nachtgewänder angelegt werden) geheilt werden, sondern als Ausgangspunkte dienen, um über Stellung und Befinden der Frau in der damaligen Gegenwart zu reflektieren, um die ver-rückte Perspektive auch aus der Innensicht zu schildern. Hochgradig assoziativ und keinesfalls einfach auszudeuten… Ardens Klassiker, in dem die Regisseurin selbst als Therapeutin zu sehen ist und der bald nach ihrem Suizid im Jahr 1982 für fast drei Dekaden in der Versenkung verschwunden ist, wird heute vielfach als einziger Langspielfilm Großbritanniens gehandelt, der in den 70er Jahren einzig von einer Frau inszeniert worden ist. Schon das macht ihn zu einem Markstein in der Geschichte des Frauenfilms. Beim BFI wurde das Werk vor knapp zehn Jahren als Dual Format Edition herausgebracht – wie gewohnt mit reichhaltiger Ausstattung.
PierrotLeFou
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