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"The Outtake" - die exklusive Kolumne

The Outtake

Ich kritisiere, also bin ich

3. September 2012 | Stichwörter: Nerd, Review


Ich warte immer noch auf den Tag, an dem Jemand in eine Metzgerei oder einen Supermarkt mit Frische -Theke stürmt und die Verkäuferin anbrüllt, ihre Leberwurst war nicht mit Wacholder abgeschmeckt oder nicht fein genug verarbeitet. Doch stattdessen – wegschmeißen, runterwürgen oder auskotzen. Kein Wort der Kritik an dem Hersteller, nur klammheimliches Verdrücken.

Nicht so beim Lieblingsthema aller Hüllensammler, Merchandising – Aficionados und Gong–Bildchen – Ausschneider, denn vom Film, besser Spielfilm, noch besser amerikanischen Spielfilm, hat Jeder Ahnung, seit er mit Fünf von Muttern vor der Glotze vergessen wurde. Spätestens zum Beginn der Pubertät, als es deutlich wurde, das die Realität mit dem Leben im Film nicht mithalten konnte, indem auch das unsportliche Pickel-Face noch eine atemberaubende Blondine mit dicker Hornbrille abbekam – darüber, das sie lispelte, konnte man bequem hinwegsehen – wurde das Medium zum Forschungsobjekt. Nicht nur stundenlange Sichtungen schon lange verschollen geglaubter Meisterwerke aus Aserbaidschan, emsiges Sammeln von italienischen Kinoplakaten und das Auswendiglernen des Lebenslaufes des 2.Beleuchters stärkten das Allgemeinwissen, vor allem der Austausch unter Gleichgesinnten auf diversen Filmfestivals und Star-Wars-Treffen ließ eine Selbsterkenntnis langsam zur Realisierung reifen – ich werde Filmkritiker.

Was lag näher, als die Erkenntnisse langer einsamer Samstagabende der Nachwelt zukommen zu lassen? – Stumme und andere Schwarz-Weiß-Filme lassen die heutige Jugend nur an der Technik ihres Flachbildschirms zweifeln, engagierte Polit-Filme provozieren Rufe nach dem starken Mann und sekundenlange Bildeinstellungen können nur mit emsigem Popcorn-Konsum überwunden werden. Herausgefordert von einer so agierenden Konsumgesellschaft und Aussagen typischer Mono-Genre-Vertreter – egal ob Horror-, Science Fiction- oder Horror-Liebhaber – deren Kritiken sich auf „ganz gut“, „man musste so lange warten bis was passiert“ und „die Folterszenen mit den Schulmädchen waren affengeil“ beschränkten, begriff der werdende Filmkritiker die Schwere, aber auch die Notwendigkeit seiner zukünftigen Aufgabe. Nichts weniger als die Universalität des Mediums stand auf dem Spiel. Das Öffnen der ignoranten Augen für die Schönheit der Kameraführung, die Finesse einer aus dem Leben gegriffenen Story und das variable Spiel einer Darstellerin ohne operierte Nase und doppelD Brustweite.

Früher blieb es bei dilettantischen Versuchen im Selbstverlag, aber jetzt steht ein neuer Freund zur Verfügung, ein Gefährte in allen Lebenslagen und Tröster auch in einsamsten Stunden – das Internet. Schon seit den glorreichen Zeiten, als man die Witze für die Rückseite der Schülerzeitung aussuchen durfte, war die heimliche Liebe zum Journalismus entbrannt, spürte man die innere Wortgewalt, der nur das Ventil zum Ausbruch fehlte. Blogs, Websites und diverse Internetforen können endlich Abhilfe schaffen, und geben dem von einem tiefen Gefühl beseelten Filmliebhaber die Gelegenheit, Andere an seinem Wissen und seinen Emotionen nicht nur teilhaben zu lassen, sondern sie zu bekehren. Ob kurzer Verriss, intellektuelle Aufarbeitung oder gefühliger Aufsatz – alle Möglichkeiten bieten sich dem selbst gekürten Filmkritiker, vor dessen Meinungsmacht sogar die Printmedien zu zittern scheinen, die mit ihren nichts aussagenden Texten längst vor ihren Werbekunden kapituliert haben.

Nicht so der jedem schnöden Mammon abholde Kritiker, der sich als Aktmodell, dank Blutspenden und der monatlichen Überweisungen seiner Eltern seine Unabhängigkeit bewahrt hat. Vor ihm ist kein Film sicher, bleibt kein noch so kleines Filmfestival verborgen und wird auch die rarste Bootleg-Ausgabe der Vergessenheit entrissen. Sekundenlange Schnitte werden ebenso penibel dokumentiert, wie über gesellschaftskritische Aspekte im Comicfilm seitenlang philosophiert wird – entscheidend ist die Aufklärung einer unwissenden Masse, die nicht mehr in der Lage ist, die wahren Filminhalte zu entziffern.

Doch hinter diesem moralischen Ansinnen, verbirgt sich eine tiefe Tragik – die Masse merkt nichts davon. Trotz des neuen Freunds Internet hat sich nicht viel geändert zu den Zeiten, als zu Kinoplakat-Börsen und Star-Trek-Communities die Nerds noch vor die Tür gingen. Die Filmkritiker bleiben immer noch unter sich und vermehren jeden Tag das Universalwissen über den Film in der vergeblichen Hoffnung, einen Außenstehenden für ihre Sekte zu begeistern. Aber als Süchtige können wir nicht davon lassen, brauchen die Kritik wie die Luft zum Atmen – ohne sie sind wir nichts.


Bretzelburger



Kommentare und Diskussionen


5 Kommentare zu „Ich kritisiere, also bin ich“

  1. zeckpetzki sagt:
    13. September 2012 um 15:30

    Man kann aber dem ganzen durchaus etwas Positives abgewinnen, nicht wahr? Wenn man sich wirklich für das Medium Film interessiert, dann bieten das Internet im allgemeinen und die ofdb im besonderen Hilfe in allen Lebenslagen. Portale wie ofdb wenden sich nicht an den Blockbustermultiplexsamstagabendkinogänger, sondern sprechen eher den Freund des besonderen Films an. Und wo sonts bekommt man Hinweise auf den neuesten Output der Helden eigener Jugendtage, wenn nicht hier? Wo sonst kann man andere an seinem Vergnügen teilhaben lassen, wenn Moppel Seagal wieder einmal Knochen bricht?

    Sicher, man schreibt ins Leere…aber es ist mir reichlich egal, wie viele Menschen nun meine Reviews lesen. Es ist nämlich ein Geben und Nehmen: ich lese Kritiken, um neue Filme zuentdecken oder manch eine DVD besser nicht zu importieren. Und da muß ich im Gegenzug auch ensprechende Informationen liefern, denn sonst stürzt ein Projekt wie die ofdb irgendwann in sich zusammen. Quid pro Quo, wie Hannibal Lecter sagt, und ich liefere hier gerne.

    Zudem wird der Blick auf das Kino durch das Schreiben von eigenen Kritiken geschärft – man ist einfach irgendwann nicht mehr bereit, das x-te Sequel hinzunehmen, welches dem “unter-16-Publikum” freudig als Innovation verkauft wird, wenn man mühsam Zeile um Zeile verfaßt, sich freuend über ein gelungenes Wortspiel.

  2. Intergalactic Ape-Man sagt:
    9. September 2012 um 08:15

    Dein letzter Satz ist etwas, was mir immer wieder begegnet, und dem ich nur eine Frage entgegen stellen kann: Ist das so?

    Jeden Tag glaube ich fester daran, daß es sinnfrei sein könnte, in diese Leere zu schreiben und am Ende nur jene zu erreichen, welche es schon genauso wissen oder auch ohne mich herausgefunden hätten – schlimmstenfalls ohnehin erst im Abgang die Augen für andere Stimmen öffnen.

    Wofür tue ich das? Es ist eine Reflektion, die am Ende für das Selbst geschieht und die offenbar mit einer anderen Funktion verbunden ist.

    Die Denkvorgänge bleiben erhalten. Die Unlust treibt sich immer weiter in den Alltag, welchen man mehr schlecht als recht mit Inhalten von stets zu hoher Zahl um sie zu bewältigen füllt.

    Die Verdrossenheit treibt sich voran in Tagesabläufe, in die bei ähnlichen Bedingungen immer auch die Äußerung über den Konsum vorhanden war. Doch zeitgleich schwinden auch die Wünsche, Ambitionen Lücken in der Sammlung zu füllen.

    Sterbende Medien und nur unzureichend mit neuen Inhalten von Belang belebte Formate der Zukunft stehen für eine Sättigung. Von einem Abschluß kann man noch nicht sprechen, und so blitzen noch unstete Funken aus der anbeginnenden Abstinenz .

    Ein Streben nach mehr scheint Antrieb auch für den Blick zurück zu sein. Bleibt dieser Weg einen Äther von Information und Kommunikation zu bemühen aus, sei es zeitlich oder durch sinkenden Informationsbedarf begründet, so ist meine Beobachtung, daß es die Motivation zur Mitteilung mindernd ein gesetztes Gemüt zur Folge hat, fast als hätte man Sturm und Drang dem einen Partner zuliebe eingestellt.

    1. pm.diebelshausen sagt:
      9. September 2012 um 23:33

      Was?

      1. Fastmachine sagt:
        10. September 2012 um 12:03

        Spätsommerblues angesichts der Vergänglichkeit und Vergeblichkeit allen Tuns.

        Im schlimmsten Falle führt es zur Resignation, im besten Falle kommt man darüber weg und schaut die Dinge nach überwundener Reviewautoren-Midlifecrisis mit neugefundener Gelassenheit an.

        So ganz geht man als Kritiker, Polemiker, Liebhaber und Besessener aber nie.

  3. Mayoko sagt:
    4. September 2012 um 15:56

    Ein wirklich sehr gelungener und amüsanter Text. ;)

    Ich konnte mich übrigens in so mancher Passage wieder entdecken.^^


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