Okay, eine solche Aussage ginge im Privatleben ja gar nicht. Da gilt es nicht nur, Rücksicht zu nehmen und kleine Schwächen beim Gegenüber selbstverständlich zu übersehen, sondern man steht dann blöderweise auch mit der eigenen Optik auf dem Prüfstand. Der Bauchansatz, die schmalen Oberärmchen oder der Fusselbart könnten dann glatt auf einen selbst zurückfallen, weshalb man sich diese Blöße natürlich nicht gäbe.
Im Kinosessel oder vor dem Computer-Bildschirm ist das etwas ganz anderes, denn die dort abgebildeten weiblichen und männlichen Wesen haben sich ja selbst in diese Position gedrängt, wollen begutachtet und beurteilt werden. Und da ist es nur legitim, dass man einen hohen Maßstab ansetzt, denn die Aufgabe von Models oder Schauspielern liegt ja in ihrem Unterhaltungswert und der geht nun einmal auch über das Auge. Da kann man auch als untersetzter Couch-Potato verlangen, dass die Damen eine super schlanke Figur haben, selbstverständlich mit den Pölsterchen an den richtigen Stellen, und die Herren einen sportlich trainierten Eindruck hinterlassen. Man selbst bildet sich gar nicht ein, den Job auch machen zu können, aber wenn man schon mal Geld dafür bezahlt hat, dann hat man auch einen Anspruch auf Schönheit – Durchschnitt kann man sich jeden Tag draußen ansehen.
Nur, was ist Schönheit und wer legt den Maßstab dafür an? – Eigentlich müssten die Henne und das Ei Verleumdungsklagen anstrengen, denn einem von Beiden wird immer die Schuld daran zugeschrieben, wenn man einen so Beurteilenden danach fragt, warum eine etwas kräftigere Figur, eine gekrümmte Nase und Brüste, die nicht wie Orangen-Haftschalen aussehen, für Film-Schauspielerinnen nicht angemessen sind. Dann liegt das Argument immer sehr nahe, dass es ja die Produzenten gewesen wären, die dieses Schönheits-Ideal geschaffen hätten, die Mode-Designer, die alles über Kleidergröße 32 fett fänden oder die Erotik-Filmer, die keine Frau ohne operierte Brüste vor die Kamera ließen. Die Werbung übernähme dann diese Maßstäbe und der Konsument würde entsprechend beeinflusst. Auf die Gegenfrage, ob die Macher damit nicht nur die Erwartungshaltung der Masse erfüllten, werden wieder die üblichen Verdächtigen – die Henne und das Ei – auf das Tableau gehoben.
Wie sehr dieser maßlose Anspruch an das Aussehen längst jede Kontrolle verloren hat und keineswegs auf die in dieser Hinsicht durchgestylten Hollywood-Produkte beschränkt ist, kann man täglich erleben, sobald der Beurteilende glaubt, in der anonymen Masse zu verschwinden, egal ob im dunklen Zuschauerraum oder im Pseudonym-geschützten Internet. Da versteigt sich ein Kommentator bei der Posse um Bettina Wulff, angesichts eines Fotos einer Prostituierten, der eine entfernte Ähnlichkeit mit der früheren „First-Lady“ angedichtet wird, zu der Aussage, ihr Mann sollte ihr von seiner üppigen Pension mal eine Brust-OP spendieren, sie hätte ja eklige Hängetitten. Selbst bei einer Abbildung, die eher für einen beschränkten Kreis an Interessierten gedacht war, wird sofort der übliche Maßstab angesetzt, gelten die Regeln einer unnatürlichen Gleichmacherei.
Persönlich darauf angesprochen, weist Jeder einen solchen Vorwurf natürlich weit von sich. Schönheit des Alters, Individualität und Natürlichkeit werden dann hervorgehoben, aber die Kassen sprechen eine andere Sprache. Ein Film wie „Liebe“ von Michael Hanecke mit zwei über 80-Jährigen als Protagonisten hat bei der Mehrheit keine Chance gegen jede beliebige Hollywood-Komödie mit leicht verwechselbaren Menschen, deren Schönheit von der Stange kommt. Das auf die Story zu schieben wäre verlogen, denn die dümmlichsten Wiederholungen der immer gleichen Abläufe finden mit attraktiven Darstellern auch immer ihre Zuschauer. Dass Jeder tatsächlich ein ganz eigenes Schönheitsempfinden hat, geprägt seit der Kindheit, steht gar nicht in Zweifel, aber dieses behält der so Empfindende lieber für sich selbst, womit er auch zunehmend den Kontakt zu diesem inneren Gefühl verliert. Denn spätestens, wenn es Jemand wagt, aus der Masse heraus zu treten, sich damit offensichtlich als etwas Besseres empfindet, hat er gefälligst dem allgemeinen Schönheitsideal zu entsprechen. Sonst setzt es Häme und Kritik.
Das erinnert an frühere Zeiten, als öffentliche Bestrafungen bis hin zur Folter und Hinrichtung zur Volksbelustigung gehörten. Diese Erinnerung macht auch Hoffnung. Denn mit der Zeit veränderte sich die menschliche Sozialisation, empfand eine immer größer werdende Mehrheit diese Zurschaustellung menschlichen Elends als hässlich und ekelhaft bis es aus der Öffentlichkeit verschwand. Die Masse ist also in der Lage sich aus sich selbst heraus zu verändern, auch wenn es Jahrhunderte dauert.
Bretzelburger
Kommentare und Diskussionen
2 Kommentare zu „Sei gefälligst hübsch, verdammt!“
Mir fallen da grad nur zwei Dinge ein. 1. Der Apfel im Supermarkt, der liegenblieb, weil er eine Stelle hatte. 2. Fast Food, welches auf dem Bild immer perfekter aussieht, als der traurige Haufen, den man serviert bekommt.
Du sprichst sicher bedenkenswerte Themen an: Das Schönheitsideal in der Scheinwelt des Films und seine (manchmal) fragwürdige Wirkung in der Wirklichkeit. Ferner die Vorherrschaft von Filmen, die einem (Schein)Ideal von Schönheit huldigen gegenüber solchen, die bewusst jenseits des Ideals inzeniert sind, wie der genannte Film “Liebe” von Haneke.
Trotzdem bin ich nicht ganz einverstanden. Denn die Körper im Film sind nicht Teile derselben Wirklichkeit wie wir normalen Zuschauer, sondern Teile der eigenständigen Wirklichkeit der Kunst. Film ist eine Kunstform. Und in der Welt der Kunst gelten andere Gesetze als in der Wirklichkeit. Schon immer, seit es abendländische Kunst überhaupt gibt.
Ob Malerei, Skulptur oder Theater – die Kunst arbeitet immer mit einem Schönheitsideal, so unterschiedlich sich das im einzelnen auch äußerte über die Jahrhunderte.
Oder glaubst Du, als die griechischen Bildhauer vor 2500 Jahren ihre Marmorstatuen von Göttern und Helden schufen, da rannten der gewöhnliche griechische Bauer, Handwerker und Soldat mit einem ähnlich makellos schönen Körper umher?
Wenn Raffael und Leonardo da Vinci ihre Madonnen perfekt schön malten, dann sähe auch die italienische Marktfrau so aus?
Natürlich nicht. Das wusste und weiß jeder, damals wie heute. Trotzdem gab s immer die Sehnsucht nach dem Ideal, deswegen ist es ja: ein Ideal (und keine Wirklichkeit). Das halte ich im Kern nicht für verwerflich, sondern dem Menschen angeboren.
Neben dem Idealismus in der Kunst gab es immer auch die naturalistische Kunst, die sich dem Wirklichen, Hässlichen und Grotesken zuwandete. Besonders in der christlichen Kunst, die auf das Mitgefühl setzt, das der Betrachter mit dem gemarterten, erbärmlichen Körper von Christus hat.
Und genauso gibt es heute Superheldenfilme und Teenagerschwärme als ideale Helden im Kino auf der einen Seite, während auf der Gegenseite Filme wie Hanekes “Liebe” , die der Wirklichkeit und dem Mitgefühl huldigen, ihr Publikum finden.
Das war schon immer so, das kann man auch nicht gegeneinander aufrechnen. Daher halte ich deinen letzten Absatz für übertrieben, auch wenn mir klar ist, dass er hier in der Kolumne nur dein Anliegen etwas provokant zuspitzen soll.
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Mir fallen da grad nur zwei Dinge ein. 1. Der Apfel im Supermarkt, der liegenblieb, weil er eine Stelle hatte. 2. Fast Food, welches auf dem Bild immer perfekter aussieht, als der traurige Haufen, den man serviert bekommt.
Du sprichst sicher bedenkenswerte Themen an: Das Schönheitsideal in der Scheinwelt des Films und seine (manchmal) fragwürdige Wirkung in der Wirklichkeit. Ferner die Vorherrschaft von Filmen, die einem (Schein)Ideal von Schönheit huldigen gegenüber solchen, die bewusst jenseits des Ideals inzeniert sind, wie der genannte Film “Liebe” von Haneke.
Trotzdem bin ich nicht ganz einverstanden. Denn die Körper im Film sind nicht Teile derselben Wirklichkeit wie wir normalen Zuschauer, sondern Teile der eigenständigen Wirklichkeit der Kunst. Film ist eine Kunstform. Und in der Welt der Kunst gelten andere Gesetze als in der Wirklichkeit. Schon immer, seit es abendländische Kunst überhaupt gibt.
Ob Malerei, Skulptur oder Theater – die Kunst arbeitet immer mit einem Schönheitsideal, so unterschiedlich sich das im einzelnen auch äußerte über die Jahrhunderte.
Oder glaubst Du, als die griechischen Bildhauer vor 2500 Jahren ihre Marmorstatuen von Göttern und Helden schufen, da rannten der gewöhnliche griechische Bauer, Handwerker und Soldat mit einem ähnlich makellos schönen Körper umher?
Wenn Raffael und Leonardo da Vinci ihre Madonnen perfekt schön malten, dann sähe auch die italienische Marktfrau so aus?
Natürlich nicht. Das wusste und weiß jeder, damals wie heute. Trotzdem gab s immer die Sehnsucht nach dem Ideal, deswegen ist es ja: ein Ideal (und keine Wirklichkeit). Das halte ich im Kern nicht für verwerflich, sondern dem Menschen angeboren.
Neben dem Idealismus in der Kunst gab es immer auch die naturalistische Kunst, die sich dem Wirklichen, Hässlichen und Grotesken zuwandete. Besonders in der christlichen Kunst, die auf das Mitgefühl setzt, das der Betrachter mit dem gemarterten, erbärmlichen Körper von Christus hat.
Und genauso gibt es heute Superheldenfilme und Teenagerschwärme als ideale Helden im Kino auf der einen Seite, während auf der Gegenseite Filme wie Hanekes “Liebe” , die der Wirklichkeit und dem Mitgefühl huldigen, ihr Publikum finden.
Das war schon immer so, das kann man auch nicht gegeneinander aufrechnen. Daher halte ich deinen letzten Absatz für übertrieben, auch wenn mir klar ist, dass er hier in der Kolumne nur dein Anliegen etwas provokant zuspitzen soll.