“Es blaut die Nacht, die Sternlein funkeln…” (Loriot, “Advent”)
Es ist wieder mal soweit. Die Nächte werden immer länger, die Tage sind kühl und frostig und was das Sonnenlicht angeht, kann jeder, der im Keller arbeitet, auch gleich nach Skandinavien ziehen, da sind alle den Entzug schon gewöhnt.
Ich persönlich zähle schon die Tage, aber nicht die bis Weihnachten, sondern bis zur seligen Wintersonnenwende am 21.12., auf dass die Tage wieder länger werden. Ist natürlich ein rein psychisches Signal, die gefühlte Tageslichtdauer (momentan : 28 Minuten bei totaler Bewölkung) ändert sich eh erst wieder ab Februar.
Was also macht der zivilisierte Höhlenmensch von heute, wenn er wegen der kalten Witterung und der dicken Kleidung die körperlichen Rundungen der jeweils gewünschten Geschlechtspartner nicht mehr deutlich ausmachen kann: er geht auf Jagd.
Weil aber die Hirsche in den Innenstädten rar werden (außer hinter dem Steuer von Autos und die dürfen nicht geschossen werden), geht er als Ersatz Weihnachtsgeschenke besorgen (neben diversen zuckerhaltigen Lebensmitteln und harten Alkoholika, die die prä- und post-weihnachtliche Jahresdepression im Zaum halten sollen). Das bedeutet: Einkaufen rund um die Uhr – Streßab- und -wiederaufbau in der Kombipackung. Jetzt sogar Sonntags! (Wenn sie die Möglichkeit nicht hatten, weil sie im Münsterland wohnen oder in Dörfern und Kleinstädten und ihre regionalen Gewohnheiten diesen neuen Trend verhindert haben, schlagen sie ihren lokalen Einzelhändler und begraben ihn unter dem Schild mit den Öffnungszeiten!)
Nichts ist es mit Besinnlichkeit, mit Nostalgie, die Hektik überträgt sich auf so ziemlich jeden, dabei droht gerade mal der 2. Advent und schon möchte man selbst morgens beim Bäcker alles niederbrüllen, was nicht schnell genug seine Wünsche äußert.
In solchen Augenblicken hab ich mich (neben der familiären Gemütlichkeit) immer sehr auf das Fernsehprogramm zu Weihnachten gefreut – das war zu einer Zeit, als es “Stirb langsam” noch nicht als nicht frei wählbare Option am 1. Weihnachtstag gab. Damals gab es Weihnachtsvierteiler, bei dem das Abenteuer uns in den Ohren rauschte und für die Jüngeren gabs noch die Weihnachtssechsteiler oben drauf, Qualitätsware, “Silas“, “Jack Holborn” oder “Patrick Pacard“!
Natürlich würgte die ARD wie üblich “Der kleine Lord” ins Abendprogramm, aber selbst dafür war man sich manchmal nicht zu schade, auch wenn der Zuckerschock bis zum nächsten Morgen reichte.
Gut, heute händeln 34 Kabelsender das Thema (ihr Freunde des Pay-TV, euch laß ich mal in Ruhe, ich stelle mir die Auswahl beklemmend vor), aber das hat neben dem o.a. geschmacklichen Ungemach, Action- und Horrorfilme vorgesetzt zu bekommen, den Vorteil, dass meistens irgendwo immer “Ist das Leben nicht schön“, “White Christmas” oder “Wir sind keine Engel” laufen, damit man sich wohlig auf der Couch räkeln kann.
Irgendwie konnte man sich trotzdem heimisch fühlen und man konnte hoffen, dass eines der dritten Programme einen alten Edelstein ausgräbt, damit wir uns mal alle jenseits von “Drei Nüsse für Aschenbrödel” fühlen können, süffig in ein Glas Glühwein “Das waren noch Zeiten!” rülpsend. Und zur Not gab es ja die Weihnachtsfolgen aller gängien Serien, die hatten von der Sitcom bis zum Drama meistens was Originelles an sich.
Und seien wir ruhig ehrlich: so ein Heiligabend im Kreise der ausgesuchten Großfamilie, die in plötzlich aufflackerndem Streit den Abend nur vollzählig überlebt, weil ein paar Kinderaugen den Baum anstarren (und was darunter liegt) und der Ehrenmord bei uns einfach noch nicht populär genug geworden ist – da kann Bruce Willis samt Uzi schon schön den Dampf rauslassen.
Dieses Jahr jedoch droht uns Deutschen die Nostalgie verdorben zu werden, denn die Zeiten ändern sich.
Neulich schlenderte bzw. schleuderte ich in bester Advents-Autoscooter-Manier (laß dich überraschen, wohin dich die Schulterstöße deiner einkaufenden Mitmenschen zufällig führen) durch die DVD-Abteilung einer größeren Kaufhauskette.
Daß zu jedem prächtigen Anlaß diese Ketten in die Jahre gekommene Lagerware und abgenutzte Neuerscheinungen bruttoregistertonnenweise in die Auslagen rotzen, um noch mal einen schnellen Euro zu machen, bevor die nächste Special Edition aus dem Lager hoppelt, ist ja ganz praktisch, aber letztendlich wurde ich dann doch erschlagen durch den schieren Umfang einer neuen Generation, die wie die Vogelgrippe in diesem Jahr richtig zum Ausbruch gekommen ist.
Die Rede ist von: TV-Serien auf DVD!
Wändeweise türmen sie sich vor mir auf und erst in diesem Moment sickerte es ans Kleinhirn durch, was beispielsweise auch unser GF-TV-Forum seit ewig und drei Tagen füllt: praktisch jeder Pups der TV-Geschichte feiert seine Wiedergeburt auf Silberscheibe.
Die Wünsche unserer Kindheit, das Lamento des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, immer nur die falschen Sachen zu wiederholen – das alles ist jetzt konkret und berechenbar geworden, eine simple Frage der Zeit.
Selig und lange vorbei sind die Zeiten, als nur die ganz heiße Kiste auf DVD erhältlich war, “Ally McBeal”, “Buffy”, “Charmed”, “Akte X” oder “Friends”.
Das waren damals Schlager, Geheimtips, jetzt springt eine ganze Industrie auf den Zug auf, denn das Portfolio der noch zu veröffentlichenden Filme wird dünner und Aufpeppen durch Hintergrundmaterialsuche und Audiokommentare kostet Geld. TV-Serien lagern einfach so im Archiv, die harren nur so der Veröffentlichung wie geschnitten Brot.
Ich meine, wir wussten, dass der Kult irgendwann folgen würde, dass Al Bundy auch auf Silberscheiben landen würde, dass “MASH” kommen würde, dass der “King of Queens” der King der ganzen TV-Nation werden würde.
Aber inzwischen erfolgt die Attacke auf breitester Front, für alles und jeden ist jetzt etwas dabei. Serienjunkies ergötzen sich im vierwöchentlichen Rhythmus an Soaps, die kurz nach Ausstrahlung schon in der Auslage der Wiederholung harren, weil man sie um der nicht vorhandenen Halbwertzeit willen niemals wieder jemandem anbieten darf; die Kinder von damals finden ihre Träume von der “Roten Zora“, von “Catweazle“, “Kung Fu” oder, gott bewahre, “Lassie” wieder, die weibliche Fraktion reißt Aktuelles wie “Gilmore Girls” an sich, während die Männer “Alias” anlechzen und die Freaks holen “Department S” aus dem Player, um dann mit “Stahlnetz” und “Die Gentlemen bitten zur Kasse” ganz eigene Feste zu feiern.
Jeder wird auf diese Art und Weise abgefüllt, denn irgendeinen Traum hat jeder aus seinem Apparat mit Antennenempfang oder simplem Kabel/Satellit der 80er mit ins 21.Jahrhundert gerettet. Das Wünschen hat gewirkt, jetzt wird alles wahr, wie es scheint.
Wobei ich mir ernsthaft gar nicht vorstellen möchte, wie die Zielgruppe aussieht, die nicht nur eine absolut lächerliche Serie wie “Hinter Gittern”, eine Mischung aus Hausfrauenexploiter und Soap-Kasperletheater zum Quotenhit macht, sondern die Jauche später auch noch kauft, um sich zur Entspannung Pseudo-Lesben-Fights und Breitwandkorruption im Taschenformat zu geben und das auch noch unter Blaufichtennadeln und Sprühlametta. Genauso rätselt der TV-Freund über “Glory Days”, eine kurzlebige Midseason-Serie, die sogar von RTL2 auf die Schnelle verramscht wurde und ihre Wiederauferstehung bei Karstadt und Mediamarkt feiert, als könnte man sie so zu neuem Leben erwecken. Selbst die Hirnschoner, die sich allwöchentlich “Alarm für Cobra 11″ oder solche Perlen der Comedy wie “Bewegte Männer” einpfeifen, werden bedient.
Und dazwischen lagern die Goldstücke der Vergangenheit, als würden alle Schatzsucher der Welt gleichzeitig fündig geworden sein. Warum muß zwischen Schätzen immer so viel Ramsch sein?
Ist es wegen des Geldes?
Wollen sie uns einen Gefallen tun?
Bringen sie uns Frieden? Frieden in die weihnachtlichen Wohnzimmer, wo so manches Päckchen dieses Jahr seinen quotengeprüften Eindruck ein zweites Mal versprühen darf?
Kriegt jedes Familienmitglied dieses Jahr das Maul gestopft, jeder endlich das, was er will? Ziehen wir uns jeder in unser Zimmer zurück, um unsere Vergangenheit zu stopfen wie eine Mastgans. Zum Essen schalten alle mal kurz auf Pause, dann versinken wir wieder in der Nostalgie?
Nein, Leute!
Nostalgie heißt auch, etwas nicht jeden Tag sehen zu können, sich nicht wie ein Vampir immer wieder an den 110 Serienfolgen laben zu können, sie auszusaugen, bis die Leiche kalt und das Feuer der Erinnerung aus ist.
Ja, ihr könnt euren “Captain Future” studieren und die Schnitte zählen, aber das heißt nicht, dass ihr das Gefühl wiederbekommt, an einem Samstag zwischen 13.50 Uhr und 14.15 Uhr den heimischen Fernseher vom Vater zu erobern, in der Hoffnung, dass niemand sonst etwas anderes Wichtiges wie Skispringen oder Formationstanz sehen will.
Denkt bloß daran, dass man Nostalgie ganz schnell totschlagen kann, vertraute Gefühle schal werden im Lauf der Zeit.
Dosiert es gut, was immer euch geschenkt wird.
Auch ich bin nicht immun. Da stehen die ersten beiden Staffeln von “MASH” in meinem Regal. Sie sind noch verpackt. Der Zustand wird wohl auch noch etwas anhalten.
Ich freu mich heute nämlich auf die Veröffentlichung des TV-Weihnachtsprogramms, weil ich in der Heiligen Nacht nämlich seit Kindheitstagen schlecht ins Bett gehen kann.
Vielleicht macht man uns ja ein schönes Nachtgeschenk, zum Festausklang. Viel berauschender als jede Staffel 6.1 oder 4.2 von wasweißich? Hoffentlich!
Und wenn nicht, empfehle ich jetzt einfach mal ganz dreist, die Augen zu schonen und die Ohren zu spitzen, z.B. mit dem Hörspiel-Zweiteiler “Spuk in Hill House” von Shirley Jackson aus der Reihe Grusel-Kabinett, der mit vielen bekannten Stimmen glänzt und die Vorlage zu “Bis das Blut gefriert” gekonnt umsetzt. Zwei eisige Stunden für eine kalte Nacht. Oder man lässt sich mit der gelesenen Edition von Tolkiens “Silmarilion” einlullen, Gandalfs Stimme wird die alten Sagen schon dementsprechend tragen.
Und die Nostalgie wärmt sich noch eine Weile im Manteltäschchen!
Silvan Prefetzky
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