Am 14. Dezember 1995 wurde das im Vormonat beschlossene Abkommen von Dayton unterzeichnet. Das Ende des 1992 begonnenen Bosnien-Krieges war nun offiziell. Der Krieg war nur einer der sogenannten Jugoslawienkriege bzw. jugoslawischen Nachfolgekriege, die sich von 1991 an über zehn Jahre ins Jahr 2001 erstreckten. Anfang/Mitte der 90er Jahre hatte auch das Kino zunehmend auf diese Kriege reagiert, wobei insbesondere die gar erst am 29. Februar 1996 offiziell als beendet geltende Belagerung von Sarajevo neben dem Massaker von Srebrenica im Juli 1995 viel Aufmerksamkeit auf sich zog. Etwa bis Mitte/Ende der 00er Jahre zieht sich die (freilich bis heute immer wieder einmal in Angriff genommene) filmische Verarbeitung der Jugoslawienkriege, die man mindestens bis in das Jahr 1992 zurückverfolgen kann: Zivojin Pavlovics “Dezerter” (1992) und Romuald Karmakars “Warheads” (1993) wären als frühe Beispiele zu nennen, dicht gefolgt vom 1993 gedrehten Kurz-Dokumentarfilm “Le 20 heures dans les camps” (1994) von Chris Marker, der am 8. September 1994 seine Uraufführung erlebte. In dem Jahr legte auch Markers loser Weggefährte Jean-Luc Godard seinen essayistischen Foto-Kurzfilm “Je vous salue, Sarajevo” (1994) vor. 1995/96 kommt es dann fast schon zu einer Art von Welle von Jugoslawienkriegsfilmen…
Bleibt Marker im dokumentarischen Interview-Kurzfilmformat ganz und gar der allerjüngsten Gegenwart verhaftet, so legen die Spielfilmregisseure Theo Angelopoulos und Emir Kusturica zwei überaus lange, epische Blicke auf den schwelenden Krieg vor, der bei Angelopoulos in die Balkankriege, bei Kusturica in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurückreicht.
Kusturicas Filme ab “Dom za vesanje” (1988) nahmen nach einem vergleichsweise zahmeren Frühwerk zunehmend fellineske Züge an, die sich der Regisseur auf ganz individuelle Weise zu eigen machte. Entsprechend ausgelassen, visuell verspielt, grotesk und laut fällt “Underground” aus, der erstmals im April 1995 zu sehen war und letztlich in drei verschiedenen Fassungen kursiert: einer 190minütigen Originalfassung, einer 170minütigen Exportfassung und einer 1996 auf arte ausgestrahlten, als Director’s Cut vermarkteten fünfstündigen TV-Fassung. In den Hinweisen zu alternativen Fassungen gibt Tito Auskunft über diese Versionen.
Ersonnen wird die tragische Saga einer vermeintlichen Freundschaft: Peter Popara, der stürmische Haudrauf, und Marko Dren, der etwas schmierige Opportunist, lieben Anfang der 40er Jahre dieselbe Frau, doch ihre Freundschaft wird letztlich durch einen Verrat ganz anderer Art zerrüttet. Popara, zu Beginn des Films gerade frisch in die KP aufgenommen, der auch Dren angehört, muss während der deutschen Besatzung nach Verhaftung und Folter sowie nach seiner Befreiung durch den Freund in den Untergrund gehen, von Dren mit vielen anderen versteckt. Als der Krieg dann jedoch endet, verschweigt Dren den Versteckten die Wahrheit, jubelt ihnen sogar eine verzerrte Zeitrechnung unter und lässt sie weiterhin Waffen für den “Widerstand” fabrizieren, derweil er im Jugoslawien Titos als Vertrauter des Staatsführers Karriere macht, in dem Popara zugleich als vermeintlich gefallener Kriegsheld unwissentlich zur fast mythischen Figur avanciert. Günstigerweise gelangt Dren so auch in die Gunst der von ihnen beiden begehrten Frau. Gerade als Poparas Lebensgeschichte verfilmt wird, dringt dieser schließlich mit den anderen an die Oberfläche und geht auf die Filmset-Nazis los. Auch Dren muss nun ein neues Leben beginnen. Tito verstirbt, die Jahre vergehen und im tobenden Bosnien-Krieg kreuzen sich die Wege wieder, als Dren als Kriegsgewinnler agiert und Popara als Befehlshaber in eigener Sache sein Unwesen treibt, derweil die Blauhelme in diesem Chaos nicht das beste Bild abgeben. Am Ende sind dann alle tot: die Freunde, ihre Frau, Söhne, Brüder…
Die epische, humorvolle, manchmal ungestüm-grelle, fellineske und surreale, manchmal melodramatisch-sentimentale Geschichte eines Landes, das vom Konflikt gegen äußere Gegner zum Konflikt im Inneren überging, sahnte die Palme d’or auf den Filmfestspielen von Cannes ab, wo der Film am 26. Mai 1995 zu sehen war. Der Vorwurf, Kusturica ergreife zu einseitig Partei für die Serben, sorgte damals aber auch für einige Kontroversen, die späterhin auch Kusturica selbst als Person immer wieder einmal begleiten sollten.
Ausgesprochen günstig ist der hochunterhaltsame, ziemlich wirkungsvolle Film bei Arthaus auf DVD zu bekommen: Fassungseintrag von lumsarge
Neben diese drei genannten Filme gesellte sich 1995 noch die mehrteilige TV-Dokumentation “The Death of Yugoslavia” (1995), der sich Tito in einem lesenswerten Review angenommen hat. Zudem drehte Srdjan Dragojevic in diesem Jahr seinen großen “Lepa sela lepo gore” (1996), für den Tito bereits wieder einen umfangreichen Gastbeitrag für das kommende Jahr verfasst hat, während Godard sich an seinen “For Ever Mozart” machte… Zählt man die Uraufführungen und die (an)laufenden Produktionen von Jugoslawienkriegsfilmen zusammen, so erwies sich das Jahr 1995 sicherlich als das am stärksten von den Jugoslawienkriegen und insbesondere vom Bosnien-Krieg geprägte Filmjahr.
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