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"Dreams are my reality ..."

I had no relationship to Science Fiction before I came to the US. I thought most of the movies are completely stupid."
Eine solche Aussage wäre bei den allermeisten Regisseuren nicht einmal eine Randnotiz wert, vom Holländer Paul Verhoeven hätte man sie allerdings so ziemlich als Letztem erwartet. Schließlich verdanken wir ihm mit dem Quartett Robocop, Total Recall, Starship Troopers und Hollow Man ein SciFi-Oevre das meilenweit aus dem Hollywoodschen Genre-Einheitsbrei heraussticht und bis heute teilweise kultisch verehrt wird.

Tatsächlich hat Verhoeven vor seiner US-Karriere vornehmlich realitätsbezogene Filme gedreht und ist eher zufällig in das Robocop-Projekt gestolpert. Er sah den Film mehr als Experiment bzw. Herausforderung, ob er auch in einem ihm eigentlich völlig fremden Genre reüssieren konnte. Ursprünglich fand er das Skript sogar ausgesprochen lächerlich und musste erst von seiner Frau überredet werden, die die subversiven Möglichkeiten des Stoffes sofort erkannt hatte.
Das ob seiner explosiven Mischung aus Gesellschaftskritik, zynischer Dystopie und drastischer Gewalt heftigst diskutierte Werk wurde schließlich ein Überraschungshit und hat wohl auch Arnold Schwarzenegger dermaßen beeindruckt, dass er den unkonventionellen Holländer unbedingt auf dem Regiestuhl seines nächsten Action-Projekts Total Recall sehen wollte.
Natürlich war Verhoeven nach dem Robocop-Erfolg mit Science Fiction Stoffen regelrecht bombardiert worden, dass er dem Genre trotzdem treu blieb und sich damit auch der Gefahr des Type-Casting aussetzte, ist einerseits sicherlich Schwarzeneggers Penetranz und Engagement zu verdanken, andererseits aber auch Verhoevens Faszination für die postmoderne Grundidee zweier möglicherweise gleichwertiger Realitäten.

Seine schnelle Zusage bereute er allerdings sofort als er erkannte, dass bereits 41 Script-Fassungen existierten und dabei der finale Akt immer noch nicht zu einem befriedigenden Ergebnis ausgearbeitet worden war. In Version 42 bestand dass letzte Drittel quasi nur aus Action in Form diverser Verfolgungsjagden. Das war Verhoeven entschieden zu platt. Erst als der von ihm engagierte Autor Gary Goldman mit der Idee aufwartete, dass der von Schwarzenegger gespielte Held in Wirklichkeit als Spion für den Oberschurken arbeitete und sich lediglich seiner Herkunft und Identität nicht mehr bewusst ist, war auch Verhoeven zufrieden. Mit diesem Kniff war auch das Finale inhaltlich komplex und bot damit interessante Möglichkeiten für die Auflösung der Geschichte. (1)

Überhaupt nahmen sich Goldman und der bereits seit fast 20 Jahren an dem Script arbeitende Ronald Shusett erhebliche Freiheiten hinsichtlich der Vorlage des seit Blade Runner in Hollywood überaus populären SF-Autors Philip K. Dick. In der Kurzgeschichte „We can remeber it for your wholesale"  (1966) ist der einfache Arbeiter Douglas Quail besessen darauf den Mars zu besuchen. Da er sich dies nicht leisten kann, geht er zu der Firma REKAL Incorparated die Erinnerungen per Implantat anbietet. Dabei kommt heraus, dass Quail möglicherweise als Auftragskiller für die Regierung gearbeitet hat und offenbar in eine Reihe brisanter Geheimnisse eingeweiht ist. Ein Verdacht der sich zunehmend bestätigt, zumal man ihn plötzlich umbringen will. Als er auf den Deal eingeht seine Mars-Erinnerungen durch jene an eine Rettungsmission bezüglich einer Invasion durch Außerirdische zu ersetzen, stellt man bei REKAL fest, dass diese der Realität entspricht. Sollte Quail nun getötet werden, würde die Invasion beginnen ...

Im Filmskript bleiben zwar wesentliche Elemente wie die gelöschten Erinnerungen an den Mars sowie die mögliche Identität Quaids (der Name wurde bewusst abgewandelt, da „Quail" - zu deutsch Wachtel - für einen von Schwarzenegger gespielten Helden entschieden zu schwachbrüstig wirkte) als Geheimagent enthalten, allerdings spielen große Teile der Handlung nun tatsächlich auf dem Mars. Auch die Idee einer extraterrestrischen Invasion wurde dahingehend abgewandelt, dass Quaid nun den roten Planeten mit Hilfe eines von Aliens entwickelten Atmosphärenwandlers aus den Klauen des skrupellosen Mars-Patriarchen Cohaagen zu befreien versucht. Darüber hinaus wurden eine Reihe neuer Nebenfiguren (neben Cohaagen (Ronny Cox) u.a seine rechte Hand Richter (Michael Ironside), Quaids Ehefrau (Sharon Stone) und der Rebellenführer Quarto) eingebaut, die der ja lediglich auf einer Short Story basierenden Erzählung mehr Volumen geben sollten.

Was Verhoeven an dem Projekt am meisten interessierte war nicht etwa der hohe Actionanteil oder die nicht unerheblichen tricktechnischen Herausforderungen. Vielmehr faszinierte ihn der in der Grundthematik angelegte philosophische Gedanke, ob die von uns wahrgenommen Realität „wirklich" bzw. „wahr" im Sinne von existent, oder nur ein Produkt unserer Phantasie bzw. von irgendwoher gesteuert ist.
Gary Goldmans Umgestaltung des dritten Aktes zielte genau auf diese Thematik und versah Total Recall mit einem doppelten Handlungs-Boden, der für einen vermeintlich rein auf Unterhaltung getrimmten Science-Fiction-Kracher nicht gerade zum Standardrepertoire gehörte. (2)

Die Schlüsselszene des Films ist eindeutig der Auftritt des Rekall-Angestellten Dr. Edgemar (Roy Brocksmith) in Quaids Hotelzimmer auf dem Mars. Er erklärt Quaid er würde immer noch im Implantationsstuhl bei Recall sitzen und alles bisher Erlebte wäre reine Phantasie basierend auf der eingespeisten Traumsequenz. Edgemar sei natürlich nicht wirklich anwesend, sondern lediglich ein (ebenfalls implantierter) Sicherheitsmechanismus um ihn in die Realität zurückzuholen. Quaid bräuchte lediglich eine Pille schlucken und schon wäre der Spuk vorbei.
Das faszinierende an dieser Szene ist, dass Edgemars Behauptungen tatsächlich stimmen könnten. Zwar weigert sich Quaid dies anzuerkennen, wird im Rest des Films allerdings genau mit den Erlebnissen konfrontiert die Edgemar prophezeite, falls er sich gegen die Beendigung der vermeintlich falschen Realität entscheiden würde. So bleiben am Ende Zuschauer wie Protagonisten im Zweifel hinsichtlich des Wahrheitsgehaltes der unterschiedlichen Realitäten.

Unabhängig von diesen komplexen Gedankenspielen die vom Betrachter  - ganz Genre-untypisch -so einiges an Denksport verlangen, ist Total Recall perfekt geschnürtes Unterhaltungspaket, das vor allen in den Bereichen Optik, Spannung und Action keine Wünsche offen lässt.
Ähnlich wie bei Robocop sah sich Verhoeven allerdings wieder mit dem Vorwurf der Gewaltverherrlichung bzw. der Lust an Splatter-artigen Schockmomenten konfrontiert. Die teilweise drastischen Gewaltdarstellungen sind dabei aber keineswegs eine seit Robocop zwecks Gewinnmaximierung von Verhoeven kultivierte Spezialität. Der Holländer war bezüglich dieser Eigenart schon in seiner Heimat mehr berüchtigt denn berühmt, was nicht unerheblich zu seinem Entschluss einen Neubeginn in den USA zu wagen beigetragen hat. Verhoeven hält laut eigener Aussage die in den allermeisten Actionfilmen praktizierte, verharmlosende Präsentation von Gewalt für verlogen. Daher wolle er bewusst zeigen, was physische Gewalt am menschlichen Körper anrichten kann und damit, wenn nicht abschrecken, dann doch zumindest ernüchtern. Auch wenn Verhoeven - vor allem vor der Hintergrund seiner teilweise traumatischen Kindheitserinnerungen an Besatzung und Befreiung Hollands während des Zweiten Weltkriegs - hier durchaus glaubwürdig erscheint, so scheint in diesen Szenen dennoch zusätzlich auch ein Hang zur Provokation und zum Tabubruch durch, der spießbürgerliche Einstellungen bewusst ins Visier nimmt.

Gerade im Comic-haften Inszenierungsstil Total Recalls werden die teilweise expliziten Brutalitäten weitestgehend ihrer Schockwirkung beraubt und tragen eher zum Unterhaltungswert bei, als diesen zu karikieren oder gar zu torpedieren. Überhaupt schlägt Verhoeven einen für die Thematik und gezeigte Drastik überraschend leichten Ton an. Der Film ist keineswegs düster und auch keineswegs humorlos. Der Erfolg sollte ihm schließlich recht geben, allerdings ist die scheinbar gewagte Taktik bei näherer Betrachtung durchaus logisch und nachvollziehbar.
So sei die vermeintliche Einschränkung des von vornherein feststehenden Hauptdarstellers Arnold Schwarzenegger letztlich sogar ein Glücksfall gewesen, denn - so Verhoeven - „that forced me into a light style." Tatsächlich wirkt der ehemalige Bodybuilder - der weit mehr „Präsenz" als Schauspieler ist - in einem nicht ganz ernst gemeinten „Larger-than-life"-Szenario erheblich glaubwürdiger, als in einem auf totalen Realismus ausgerichteten Umfeld. Und Glaubwürdigkeit ist dringend nötig, will man das Publikum dazu bringen auch die diversen sich überlagernden Handlungsebenen zu schlucken bzw. sich gedanklich mit diesen auseinanderzusetzen. Unfreiwillige Komik dagegen wäre bei diesem Ansinnen nicht gerade förderlich.

Total Recall gilt zu recht als Wendepunkt in der Wahrnehmung Schwarzeneggers als Darsteller. Zwar hielt man ih nach wie vor für mimisch eingeschränkt, attestierte ihm aber zumindest eine breitere Ausdruckspalette als die eines Cyborgs. Das hatte er nicht zuletzt seinem Regisseur zu verdanken. Verhoeven ließ ihn teilweise bis zu 40 Takes absolvieren, bis er so etwas wie eine zufrieden stellende Performance aus dem Autodidakten heraus gekitzelt hatte. So ist es in jedem Fall als Erfolg zu werten, dass Schwarzenegger es schafft sowohl den Helden, wie auch den Schurken glaubwürdig darzustellen bzw. zumindest einen erkennbaren Unterschied zwischen den Beiden herauszuarbeiten. Auch sein an frühere Zeiten erinnerndes, auffällig hölzernes Auftreten zu Beginn des Films war von Verhoeven so gewollt, um die mögliche Irrealität dieser Szenen zu betonen.
Schwarzeneggers Wirken wird auch dadurch aufgewertet, dass man beim übrigen Cast bewusst Darsteller auswählte, die zu ihm passten. Auch sie sind sofort als das erkennbar, wofür sie stehen, ohne dass dafür komplizierte Dialoge oder eine umfangreiche Einführung nötig wären. Das gilt sowohl für Michael Ironside als zwischen Aggressivität und Unterwürfigkeit pendelnden Handlanger, wie auch für Ronny Cox als skrupellosen und perfiden Schreibtischtäter und Sharon Stone als typisch blondes Gift. (3)

Für Glaubwürdigkeit in diesem eigentlich völlig irrealen Szenario sorgten auch die gelungenen Spezialeffekte. Hier zahlte sich aus, dass Verhoeven in Hollywood bereits einen Effektfilm gedreht hatte und dabei mit Größen wie Phil Tippet, Rob Bottin und Eric Brevigs bekannt gemacht worden war. Der Einfachheit halber übernahm er praktisch die komplette Crew, was sich für Total Recall als überaus gewinnbringend herausstellen sollte. Die Mischung aus Miniaturmodellen und Malereien (Brevigs), diversen mechanischen Effekten und kunstvoll gestalteten Gesichtsmasken (Bottin) schuf ein visuell ebenso beindruckendes wie überzeugendes Setting das viel auch zum inhaltlichen Funktionieren des Films beitrug.
Dazu zählten auch kleinere visuelle Tricks wie per Antippen farblich veränderbare Fingernägel, (zur Entstehungszeit des Films noch nicht existierende) Bildtelefone oder interaktive Zimmerwände, die man per Knopfdruck zwischen Fernsehbildschirmen und echt - weil beweglich und mit entsprechender Geräuschkulisse - wirkenden Landschaftspanoramen hin und her schalten kann. Das ist keineswegs reine Gimmick-Spielerei oder bloßes Gadget-Gepose, sondern ein cleverer erzählperspektivischer Einfall, schließlich wir der Zuschauer hier quasi im Kleinen darauf vorbereitet, dass er nicht alles glauben soll/kann was er sieht, und dass es (möglicherweise) verschiedene Realitäten gibt.

Das zentrale Thema des Films wird letztlich auf zahlreichen Ebenen transportiert - durch Darsteller, Dialoge, Jerry Goldsmiths zugleich hymnische wie mysteriöse Musik, optische Gestaltung und Ausstattung. Mit Total Recall gelang Paul Verhoeven damit das seltene Kunststück das komplexe und teilweise auch philosophisch angehauchte Sujet einer trugbildhaften Realität bzw. diverser Parallelrealitäten leicht verdaulich zu präsentieren und für breite Schichten konsumierbar zu machen. Sowohl Actionfans wie auch an intellektuellen Diskursen und Gedankenspielen interessierte Zuschauer unter ein Dach zu bringen, ist nicht nur im Science-Fiction-Kino ein rares Pflänzchen.

Dass der an Zukunftsstoffen eigentlich nicht sonderlich interessierte Holländer mit dem weltweiten Siegeszug Total Recalls endgültig in der Genre-Schublade landete, ist der von ihm dafür umso geschätzteren Ironie geschuldet. Seine Stigmatisierung als Zeremonienmeister actionlastiger Science Fiction wurde jedenfalls zu einer Realität, aus der es kaum ein Entrinnen gab. So gesehen kann man seinen Ausflug in Erotik-Thriller-Gefilde (Basic Instinct, Showgirls) durchaus auch als Realitätsflucht deuten, und wie so häufig war diese nicht von dauerhaftem Erfolg gekrönt.
Am Ende sollte er sich wiederum mit zwei Science Fiction-Hits (Starship Troopers, Hollow Man) aus Hollywood verabschieden, ein Beleg wie „grausam" die Wirklichkeit manchmal sein kann. Und das ist wiederum eine Botschaft, die aus allen Werken Verhoevens herausgelesen werden kann. Ganz ohne Doppeldeutigkeiten.

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(1) Vgl. Peter Osteried, Arnold Schwarzenegger und seine Filme, Hille 2011, S. 210 ff.
(2) Vgl. ebd., S. 217.
(3) Vgl., Douglas Keesay/Paul Duncan (Hg.), Paul Verhoeven, Köln 2005, S. 111.

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