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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Ken Russell treibt seine Musikfilm-Exzesse auf die Spitze

Stichwörter: 1970er Biografie Daltrey Drama Jubiläum Klassiker Komödie Russell Spielfilm


Tommy (1975) & Lisztomania (1975)
Mit den Literaturverfilmungen "Women in Love" (1969) nach D. H. Lawrence und "The Devils" (1971) nach Aldous Huxley hatte sich Ken Russell als ernstzunehmendes enfant terrible im britischen Film ausgewiesen, das Anspruch und Gehalt mit vergleichsweise drastischen Bildern der Erotik und der Gewalt kombinierte, die Hochkultur grell mit Popkultur verquickte und das Publikum nicht selten spaltete. Sein Hauptaugenmerk lag aber seit jeher auf Musiker-Porträts, so auch bei den großen Filmen "The Music Lovers" (1972) und "Mahler" (1974). Das Jahr, in dem Ken Russell seinen eigenwilligen Stil auf die Spitze trieb, war das Jahr 1975, das Jahr der "Rocky Horror Picture Show", die im Vergleich kaum schriller und grotesker anmutet als Russells Rockoper "Tommy" nach The Who oder sein Liszt-Biopic "Lisztomania" (mit dem sie sich Gemeinsamkeiten bei der Besetzugn teilt): "Tommy", am 19. März 1975 uraufgeführt, schildert nach der 1969 erschienen Rock-Oper The Who – und mit dem The Who-Sänger Roger Daltrey in der Titelrolle – die Geschichte eines Jungen, den der Missbrauch im dysfunktionalen Elternhaus bald über psychosomatische Defekte in Blind- und Taubheit treibt. Und doch bringt es Tommy zum Helden am Flipperautomaten, dem schließlich auch die Heilung vergönnt ist: doch dem Medienrummel und der Kommerzialisierung seiner Person wird er nicht so leicht entkommen können. Als Rockoper mit entsprechender Vorlage ist "Tommy" weit weg vom konventionellen Spielfilm: es ist ein bizarres Rock-Musical, dessen Songs Ken Russell in bizarre Nummern mit beachtlicher Ausstattung überführt. Unmittelbar auf den Erfolg von "Tommy" folgte dann eine weitere Zusammenarbeit Ken Russells mit Roger Daltrey: diesmal im Rahmen eines Komponisten-Biopics, in dem Russell alle Register seines Könnens zieht und hart mit Richard und noch härter mit Cosima Wagner ins Gericht geht. Denn während Liszt als Schwerenöter mit Charlie-Chaplin-Tramp-Charme seinen Karriereweg beschreitet, entwickelt sich Wagner vom Revolutionär über den Plagiator zum Vorbereiter einer monströsen Blut-und-Boden-Ideologie, der an germanischen Heldenfiguren werkelt, die irgendwo zwischen Frankensteins Schöpfung, Nietzsches Übermensch und Superman anzusiedeln wären. Und Cosima Wagner wird im Finale dann Wagner selbst als frankensteinsches Monstrum aus dem Grab auferstehen lassen, um mit seiner E-Gitarre ein Massaker unter den Ju(e)d(inn)en anzurichten … Der Film gönnt sich reichlich viel Polemik, die heute in Teilen sicher als überholt bzw. unpassend angesehen werden kann, und fackelt dabei ein wahres Feuerwerk der popkulturellen Bezüge ab, vom Slapstick-Stummfilm bis zu Dracula- und Frankenstein-flicks, vom Nazi-chic bis zum Rockstar-Rummel, ungeniert Riesenpenisse wie Hakenkreuze bemühend und weder Kunst noch Kirche oder Politik mit Samthandschuhen berührend. Vielleicht ist "Lisztomania" nicht der emotional berührendste Russell geworden, aber unter die grellsten, eigenwilligsten und provokantesten seiner Filme fällt er allemal.
Mehr? "Tommy"-Review von yokai_schmokai, "Lisztomania"-Review von PierrotLeFou







Kommentare und Diskussionen

  1. PierrotLeFou sagt:

    Einen schönen Weltmusiktag allseits … 😉

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