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Eine Kindheit, sie alle zu prägen

Tarkowsky - Russlands kongeniale Antwort auf die besten des Westens, vor allem Kubrick. Seine Werke sind pure Kunst - intelligent, fordernd, wunderschön & nicht selten mysteriös. Und am besten in chronologischer Reihenfolge zu genießen, da sie nicht gerade zugänglicher werden. Also ist das Debüt "Ivan's Kindheit" der perfekte Startpunkt & der Beginn meiner Reise in eine russische Welt der Träume & Metaphern. Auch wenn ich "Solaris" ebenfalls schon gesehen habe vor einiger Zeit, aber das lasse ich mal außen vor ;)

"Ivan's Childhood" ist einer der großen Kriegsfilme, Dreh- & Angelpunkt des Genres, russisches Kulturgut & enorm einflussreich. In der trägen aber sehr emotionalen Geschichte über einen russischen, elfjährigen, vorlauten Jungen zwischen den Strömen der Ostfront im 2. Weltkrieg, wird man meiner Meinung nach nicht im klassischen Sinne unterhalten. Seinen Reiz zieht der Film aus seiner Kunst, seiner Schönheit, unvergesslichen Bildern & einschneidenden Themen, die aber entschlüsselt & aufgesogen werden müssen. Lässt man sich darauf nicht ein, ist nicht ausgeschlafen oder aufmerksam, erwartet man einen spannenden, oberflächlichen Kriegsfilm, geht man sang- & klanglos unter. 

Die mehreren Traumsequenzen des Jungen, die sich vor allem mit dem traumatischen Verlust von Familie & Kindheit durch die Nazis befassen, sind wirtwörtlich traumhaft & beschäftigen einen durch Bildaufbau & Tondesign lange. Für einen Debütfilm ist das nahe einer Offenbarung & so bis dato kaum gekannt oder erwartet - am ehesten noch von Orson Welles. Wie Tarkowsky verbrannte Wälder, einen Tag am Strand oder den Kanonbeschuss darstellt, ist eine schreckliche Augenweide, hat immer einen bitteren Beigeschmack. Ebenso beeindruckend ist die Darstellung des kleinen Jungen & Protagonisten, welche wohl zu den besten Leistungen eines Kindes in der Filmgeschichte zählen dürfte. Egal ob man seine aggressive & selbstbewusste, auf Rache getrimmte Art nun mag oder nicht. Sein Schicksal ist eigentlich schon vor dem pessimistischen, realistischen Ende einfach nur niederschmetternd traurig.

Im Endeffekt kommt es bei Tarkowsky vielleicht mehr als bei jedem anderen auf den ewigen, filmischen Konflikt an: Was mag man lieber - Kunst oder Unterhaltung? Denn seine Filme gehören ebenso in eine Ausstellung wie ins Kino, sind perfekte Beispiele für Filmanalysen & sind voll kraftvoller Aussagen - keine unterhaltenden Geschichten voller Suspense & gewohnten Schnitten. Wenig Aktion, wenig Fortschritt, wenig Schnelligkeit - zumindest äußerlich. Dafür innerliche Zerrissenheit, Konflikte, archaische Emotionen, die man fühlen muss. Bzw. die man fühlen wollen muss. Wenn man das starke Werk langweilig nennen würde, könnte ich diese Meinung verstehen. Ich sehe das allerdings wesentlich differenzierter - denn es muss sowohl "Ivan's Childhood" als auch "Pear Harbor" geben. Filme können unterhalten wie künstlerisch wertvoll sein - beides hat Daseinsberechtigung. Wenn wie in "Saving Private Ryan" oder "Full Metal Jacket" allerdings beides zusammen kommt, habe ich es am liebsten. 

Fazit: perfekte Tarkowsky-Einstiegsdroge. Entweder man hat einen neuen Gott, oder man schläft ein. Oder man befindet sich irgendwo dazwischen, wie ich ;) Der Film ist wie ein rätselhafter Traum, den man lange mit sich herum trägt...

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