1. Staffel
Wer kennt sie nicht: diese was-wäre-wenn-Gedankenspiele. Was wäre, wenn ein Attentat auf Hitler bereits in den 1920er geglückt wäre? Was wäre, wenn John F. Kennedy nicht so umsichtig in der Kuba-Krise gewesen wäre? In der Literatur gibt es dafür den schönen englischsprachigen Begriff „alternate history“ und die TV-Mini-Serie (acht Episoden à 60 Minuten) „Jonathan Strange & Mr Norrell“ ist die passende Period-Picture-Show dazu, denn was wäre, wenn es schon immer Zauberer gegeben hätte und diese 1811 beim ersten napoleonischen Krieg auf der Seite Wellingtons „geholfen“ hätten? 300 Jahre nachdem auf der britischen Insel quasi keine Zauberei mehr existierte, wagt sich nämlich der exzentrische Mr. Norrell an die Öffentlichkeit und bietet dem Minister der Krone, Lord Walter Pole, seine Dienst im Kampf gegen die Franzosen an. Etwa zur gleichen Zeit entdeckt der gelangweilte Großgrundbesitzer Jonathan Strange, dass auch er über magische Kräfte verfügt. Er reist nach London, um ein Schüler Norrells zu werden. Das Unheil nimmt jedoch seinen Lauf, als durch einen erzwungenen Zauber – Pole nötigt Norrell, seine geliebte Frau von den Toten zu erwecken – ein böser Elf aus dem Reich des Rabenkönigs hinter dem Spiegel gelockt wird…
In geradezu überwältigenden kinotauglichen Bildern nimmt uns diese hochwertige britisch-kanadische Co-Produktion mit auf eine Fantasy-Reise, die irgendwo zwischen Charles Dickens und Jane Austen angesiedelt ist, die weitaus weniger mit Harry Potter zu tun hat als gedacht und die filmisch betrachtet als milder Tim-Burton-Gothic-Stil durchgehen könnte. Das hört sich erst einmal ziemlich wild an, doch unter der Ägide der Macher vom BBC und der sehr soliden Regie von Toby Haynes ist daraus ein wie aus einer Form gegossenes Unterhaltungsstück erster Güte geworden. Dies liegt natürlich auch daran, dass die Romanvorlage von Susanna Clarke nicht von Dutzenden von Drehbuchschreibern zerpflückt sondern von dem solo arbeitenden Peter Harness liebevoll adaptiert wurde. So gibt es neben einer erlesenen Ausstattung, die einfach nur „eye candy“ ist, auch jede Menge geschliffener Dialoge, die von einem typisch britischen Skurrilitäten-Kabinett an Egozentrikern und schrulligen Dandys vorgetragen werden, und eine sich immer weiter drehende Schraube an Absurditäten und Fairy-Tale-Horror, denn so mancher Zauber geht schon mal nach hinten los bewirkt gewisse Domino-Effekte. Der Spannungsbogen, der über alle Folgen gespannt wird, wir gut gehalten und das Finale stellt noch einmal alles in den Schatten. Sehenswerte TV-Unterhaltung der Marke Best-Of-British. Bildformat: 1,78:1. Mit Bertie Carvel, Eddie Marsan, Marc Warren, Alice Englert u. a.
© Selbstverlag Frank Trebbin