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Würde man gegen seinen Willen entführt, täte man gut daran, sich womöglich rettender Psychologie zu bedienen. Einschlägige Ratgeber empfehlen etwa, Ruhe zu bewahren, auf Fragen ehrlich zu antworten, Blickkontakt zunächst zu meiden und sich dem Täter nicht zu widersetzen. Dauert die Entführung länger, geht es jedoch darum, „so viel Kontrolle wie möglich zurückzugewinnen". Möglich ist das dann nur über ein persönliches Verhältnis zum Entführer. Über eine emotionale oder affektive Verbindung. Und um die geht es in diesem soliden Genre-Werk.

Der spanische Film „The Glass Coffin" bietet ein solches Szenario. Eine landesweit bekannte Schauspielerin steigt in eine Limousine, um zu einer Preisverleihung gefahren zu werden. Als der Chauffeur nicht auf ihre Kommunikationsversuche reagiert und sich die Türen nicht öffnen lassen, wird ihr klar, dass sie im Wagen festgehalten wird. Dann tritt der Fahrer doch mit ihr in Kontakt. Mit verzerrter Stimme nennt er dem verblüfften, noch recht ungläubigen Star bestimmte Regeln, die aufs Haar genau zu befolgen sind. Sollte sich die Entführte widersetzen, würde sie durch Schmerz geläutert. Eine Art „peinliches" Verhör beginnt - und die Fahrt durch die endlosen, monotonen, monochromen Straßen der Stadt wird die ganze Nacht dauern.

Ein elegant in Szene gesetztes, changierendes Lichtspiel hilft Hauptdarstellerin Paola Bontempi dabei, dieses Kammerspiel eine Filmlänge lang zu tragen. Ihr fällt dabei die schwere Aufgabe zu, Spannung, Hoffnung, Überraschung, Katharsis quasi im Alleingang herbeizuführen und diesen Thriller mutterseelenallein feilzubieten. Ein wenig erinnert das künstliche Licht im Auto, das in den wechselnden Farben des Spektrums die Gemütslage der Protagonistin unterstreicht, an Nicolas Winding Refns „The Neon Demon", wenn auch das Kunstfilmelement beim dänischen Regisseur überwiegt und „The Glass Coffin" dafür noch etwas mehr Thriller bietet.

Natürlich erfindet „The Glass Coffin" das Rad nicht neu. Es ist das immer gleiche Stellwerk, das den Folter-Horrorzug auf sein Gleis setzt. Da tuckert die Bahn eben doch meist in immer dieselbe Richtung. Nur die Endhaltestelle variiert. Wird das - oft nicht ganz unschuldige - Opfer an der Passion der Inquisition wachsen und ein neuer Mensch werden, oder wird es an seiner Strafe zugrunde gehen? Es ist wieder die Psychologie, und zwar in diesem Fall die der Inszenierung, die diese Frage vermutlich schon nach wenigen Filmminuten beantwortet. Denn - auch wenn manche Werbefritzen des Clickbaits wegen kaum nachvollziehbare Parallelen herbeireden - dieses Filmprodukt ist genuin weiblich, ist nicht „Saw" (2004), und hat mit dessen Rezeptionsmöglichkeiten demnach selbstredend wenig zu tun. Wer also einen brutalen Folterfilm oder gar nackte Haut genießen will, der guckt lieber woanders. Wer hingegen mit einem durchaus beklemmenden, mit femininer Handschrift entworfenen Alptraum-Szenario zufrieden ist, der darf zugreifen. Viel schiefgehen kann dann nicht.

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