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Berlin vibriert im Elektrosound. Und das nicht etwa im neuen Jahrtausend während der Loveparade, sondern im Jahr 1989. Als der Synthie-Pop die Charts stürmte. Wie neulich bei Edgar Wrights „Babydriver", wo der Soundtrack motivisch die Story vorantrieb, instrumentalisiert David Leitch den Score seines Films als thematische Klangkulisse zum Tanz auf dem Vulkan. Denn diese Stadt ist in ihrem Status Quo nicht zu retten, und sie wird implodieren. Ob friedlich oder in einer Gewalteruption steht hier noch am Firmament. Nun jedoch, da der Rote Stern sinkt, strengt man sich an zu retten, was zu retten ist. Auf beiden Seiten der Mauer. Doch so schön Tauwetter ist, überhitzen soll der Kalte Krieg natürlich nicht. Also bekämpft man sich im von Leitch verfilmten Graphic Novel „The Coldest City" lieber im Geheimen, im von alternativer Szene und poppiger Musikkultur geprägten Untergrund der geteilten Stadt. Und nicht im Trenchcoat wie anno dazumal. Diese sinnvolle Entscheidung erweist sich als pfiffig unkonventioneller Kontext einer wenig vordergründigen Geschichte.

Der versierte Stuntchoreograph und durch seine Ko-Regie bei „John Wick" (2014) bereits beschlagene David Leitch schickt seinen weiblichen Star regelrecht in einen brodelnden filmischen Hexenkessel, dessen nächtliche Kulisse von neonfarbener, heraufziehender Freiheit ins politische Zwielicht getaucht wird. So wenig einladend die einstige und zukünftige Hauptstadt auch wirken mag, selbst Paris und London sind in Zwischenschnitten regenverhüllt und Orte sinisteren Karmas. Wer ist die Gute, wer der Böse in diesem unübersichtlichen, und doch elegant durchdachten Treiben zwischen zwei hier gar nicht so verschiedenen Welten? Jedenfalls steht fest, dass es nicht die russischen Geheimdienstleute sind, die hier Sympathien für sich verbuchen wollen. Denn sie prügeln jugendliche Punks mit deren Skateboards tot. Doch sind es auch nicht die Schreibtischtäter des Secret Intelligence Service, die die Moral für sich gepachtet haben. Denn sie füttern ihre im Undercovereinsatz unter Feuer genommenen Schachfiguren aus taktischen Gründen mit unzureichenden Informationen und riskieren so billigend deren Tod für Queen und Country. Es ist die aparte Charlize Theron, die alle Blicke auf sich zieht und die als eine der wenigen einem Ideal folgt, das längst nur noch radioaktiv strahlt. Oder tut sie das nicht? Und wofür steht die schöne französische Agentin Delphine (Sofia Boutella), die einer Metze gleich durch die Bars der Stadt schlendert, um mit der Hauptdarstellerin in einer nicht ganz unerotischen Szene im Bett zu landen? Wir werden es erfahren.

Gewohnheiten ändern sich. Auch Sehgewohnheiten. So scheint es immer mehr in Mode zu kommen, dass die Hauptrolle eines Actionfilms weiblich besetzt wird. Vielleicht liegt das daran, dass es heute mehr Frauen als früher gibt, die ihren Weg in die einstige Männerdomäne gefunden haben. Das ist sogar mit Sicherheit so. Oder es ist (zudem) der Fall, dass das männliche Publikum längst nicht mehr (nur) auf Muskelberge beim Granatfeuer setzt, sondern gut choreographierte Schusswechsel und superb arrangierte Stunts auch einer taffen Frau zubilligt - sofern die nur ihre Rolle ausfüllt. Wie dem auch sei, Charlize Theron trägt jede Szene mit derselben Leichtigkeit, mit der einst Schwarzenegger und Stallone ihre Schnellfeuerwaffen in Anschlag brachten. Dabei ist „Atomic Blonde" noch nicht einmal ein reiner Actionfilm, wenn es sich auch beinahe so anfühlt. Der Spionagethriller nimmt jedenfalls ebenfalls den ihm gebührenden Platz ein. So gerät Leitchs nicht ganz historische Geschichte zu einem unterhaltsamen Gerate, wer hier Doppelagent ist und wem man wann besser nicht den Rücken zudreht. Wieder und wieder zieht der Regisseur dabei alle Register und schöpft aus dem großen Fundus seiner beruflichen Erfahrung, um die Gewaltsequenzen opulent zu bebildern und klanglich zu untermalen. Zu dröhnendem Synthesizer wird im Takt gestorben. Etwa so ähnlich wie neulich bei „John Wick". Nur in eine raffiniertere Geschichte (zur letzten Ruhe) gebettet.

David Leitch nutzt seine erste eigene Regiearbeit dazu, den genius loci einer Stadt einzufangen, der man es nicht unbedingt zugetraut hätte, dass sie das so einfach zulässt. Natürlich ist das Berlin als „Coldest City" nicht die Stadt an der Spree, die 1989 Geschichte schrieb, sondern ein absolut tödliches Pflaster für jeden Geheimdienstmenschen, der nur eine Sekunde nicht auf dem Quivive ist. Ein Spionage-Märchenland. Ein Fantasieprodukt. Doch bekommt unsere Kapitale hier ein Flair verliehen, das unter Augen reiben erst einmal bewusst genossen werden muss, denn Jahrzehnte lang hinkte die Metropole selbstredend den anderen Hauptstädten hinterher. Leitchs Film ist, neben inzwischen zwölf Millionen Touristen im Jahr, nur ein weiteres Indiz dafür, dass sich das ändert. Sicher, ein Werbespot sieht anders aus. Viel bunter. Nicht so mausgrau. Doch wie heißt es filmkritisch so schön? Ein historisch angehauchter Film liefert stets mehr Informationen über die Zeit, in der er entsteht, als über die Zeit, um die es sich dreht. Nun, „Atomic Blonde" ist dafür ein Paradebeispiel. Die wasserstoffblonde Charlize Theron jedenfalls liegt ganz im Trend mit ihrer kessen Herausforderung der Kollegen Reeves und Washington. Ladys first, oder so. Und wer Bedenken hatte, die Fortsetzung von „Deadpool" (2016) könne dem Erstling ja gar nicht das Wasser reichen, der darf sich entspannt zurücklehnen und wie Buddha die Mundwinkel nach oben ziehen. Denn der hier Verantwortliche führt auch dort Regie. Jaja, es sieht insgesamt doch endgültig gar nicht so grau aus für den Männerfilm. Entschuldigung, und Frauenfilm.

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