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Staffel 1

Ich habe sie über - diese historisierenden Lifestyle-Formate. Diese Serien, die vorgeblich Geschichte zum Leben erwecken und dabei, außer ein paar Zahlen und Namen, überhaupt nichts mit der Vergangenheit zu tun haben. Diese „Tudors" des Jahres 2007. Dieses „Versailles" des Jahres 2015. Diese Dinger, die ihren Figuren beinahe dasselbe lässig-coole Geplapper in den Mund legen, das wir von „Game of Thrones" gewohnt sind. Doch so genial die Fantasie eines George R.R. Martin auch sein mag (und ist), am Hofstaat des Sonnenkönigs ist dieser ungezwungen-moderne Jargon leider nicht fantastisch. Denn da gehört er nicht hin. Ein kurzer Blick ins reale Versailles eines Ludwigs XIV. würde genügen, um begreiflich zu machen, wie fremd und unnahbar uns die Welt dort erschiene. Wie wenig hip und unterhaltsam sie uns vorkäme. Mit ihren braunen Zähnen und ihren bis an den Türsturz reichenden Allongeperücken. Mit ihren ungewaschenen Füßen und ihren mit Puder zugekleisterten Maitressen. Nicht so jedoch die künstliche Kulisse des französischen Quotenhits. Da lustwandeln gutaussehende Modelgestalten durch die Parkanlagen des Schlosses, die, wenn auch in Kostüme gesteckt, viel eher dem Schönheitsideal des Jahres 2015 entsprechen, als dem des Jahres 1678. Und es ist, wie schon so oft von der Geschichtswissenschaft herausgearbeitet, einmal mehr die Gegenwart des Produktionsjahres, die da im Bild für die Nachwelt festgehalten wird - und eben nicht die dargestellte Epoche.

Aber es gibt immer wieder mutige Versuche von Film- und Serienmachern, ihr Publikum zu fordern. Mehr von ihm zu erwarten, als zwischen Cherry-Coke geöltem Crunchips-Gemampfe mal kurz die Namen der im Bild Karneval feiernden Akteure Revue passieren zu lassen oder sich über eine explizite Sexszene peinlich berührt zu amüsieren. Solchen Künstlern der Branche gelingt es, den Zuschauer für eine (vergangene) Welt zu begeistern, in die es ihn magisch zieht - und aus der er doch fliehen möchte. Und das nicht, weil sie so schlecht inszeniert wäre. Sondern, im Gegenteil, weil sie so real in Szene gesetzt wird. Der Horror-Historien-Bastard „The Witch" (2015) ist so ein Beispiel. Oder „Agora - Die Säulen des Himmels" (2009). Womit wir schon in Spanien wären - dem Land, aus dem derzeit historisch stringente und zugleich qualitativ hochwertige Produktionen gehäuft zu kommen scheinen. Mit „La isla mínima - Mörderland" (2014) gewann Regisseur Alberto Rodríguez Librero eine Reihe von Preisen und bescherte dem spanischen Film internationales Ansehen. Und nun legt Librero nach. Indem er nachbaut. Und zwar eine Vergangenheit, die so authentisch wirkt, dass man im direkten Vergleich zu ihr die heutige Gegenwart mit all ihren lauernden Gefahren geradezu als idyllisches Refugium wahrnimmt. Der spanische Regie-Star taucht ein ins Iberien der Frühen Neuzeit. In eine Zeit, in der die „Heilige Inquisition" ihr (unheiliges) Unwesen trieb. In eine Epoche, in der wiederholt die Pest auftrat und das Land in einen Friedhof verwandelte. In eine Welt, in der das Leben kurz war. Und elend. Und verlaust. Und käuflich.

Das Jahr 1597. Europa hat das Mittelalter seit einem guten Jahrhundert hinter sich gelassen. Mit dem Fall Konstantinopels, dem Wirken Martin Luthers und der Entdeckung der Neuen Welt wandeln sich die Zeiten. Unweigerlich. Sehr zum Leidwesen der Katholischen Kirche. Doch frohmütig sind jene Tage deshalb noch lange nicht. Denn nach wie vor haben Nepotismus und Korruption Konjunktur. Und immer wieder auftretende Epidemien die Menschen in ihrem Würgegriff.

Im andalusischen Sevilla tritt die Pest auf. Der ehemalige Söldner Mateo fühlt sich an sein einstiges Versprechen gebunden, den unehelichen Sohn eines verstorbenen Freundes aus der Stadt zu bringen, sollte ihm Unheil drohen. Dabei muss er Vorsicht walten lassen, denn die die „Heilige Inquisition" sucht Mateo als ehemaligen Protestanten und Drucker von Pamphleten. Prompt wird er bei seinem Unternehmen gefasst. Um dem Scheiterhaufen zu entrinnen, muss sich der kriminalistisch sachverständige Ex-Soldat bereiterklären, eine ungewöhnliche Serie von Morden aufzuklären. Die Opfer, die man über die Stadt verteilt findet, wurden lebendig gepfählt. Also beginnt Mateo zu ermitteln. Doch die Zeit drängt, denn zum einen kann sich die Kirche keinen Skandal leisten, und zum anderen verwandelt sich die Metropole mehr und mehr in einen Hexenkessel.

Natürlich ist auch „Die Pest" nur Theater. Wir reisen nicht wirklich in die Vergangenheit und werden selbstverständlich innerhalb der Konventionen moderner Unterhaltung vergnügt. Doch wagt sich Alberto Rodríguez Librero immerhin aus den sicheren Gefilden durchgestylter, steriler Kommerz-Serienware. Und zwar indem er sich redlich Mühe gibt, der längst verschütteten, uns geradezu bizarr anmutenden Welt von einst Leben einzuhauchen. Selbst wenn ihre Statisten modernes Vokabular bemühen (müssen) und so manche Hand (selbstredend und augenscheinlich) von jahrelanger Maniküre umsorgt worden ist. Libreros Welt steckt dennoch voller Liebe zum Detail und strotzt vor bezweckter Authentizität. Dabei gebärden sich ihre Figuren eben nicht wie aus „Spartacus" (2010) oder den „Vikings (2013) geklaut, sondern beinahe abweisend archaisch. Selbstverständlich unterlässt es der Spanier dennoch nicht, (auch aktuelle) Politik und Gesellschaftskritik in seine gelungene Serie unterzuheben. Der Katholischen Kirche wird nicht eben ein Denkmal gesetzt und zudem sehr nachdrücklich auf die bemitleidenswerte Rolle der Frauen jener Zeit hingewiesen. Dabei sind die für diese Produktion erfundenen weiblichen Charaktere zwar im besten Sinne starke Persönlichkeiten, die unsere Sympathien gewinnen, aber keine gequälten Feministinnen moderner Provenienz.

Viel (berechtigte) Kritik an Alberto Rodríguez Libreros spannend inszeniertem Serien-Hit (der immerhin in Spanien größere Erfolge feiert als „Game of Thrones") wird sich kaum finden lassen. Nicht so recht deutlich wird allerdings zum einen, warum die Gesunden dauernd die Kranken anfassen. Mit bloßen Händen. Ohne sich beinahe zwangsläufig zu infizieren. Schon die Quellen aus dem 14. Jahrhundert, also der Zeit der ersten großen Pestwelle (um 1348), wussten davon zu berichten, dass an der Seuche Verstorbene „mit Haken zu ziehen" seien und keinesfalls berührt werden dürften. Davon scheint man im Sevilla des Jahres 1597 offenbar nicht mehr viel zu wissen - was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit historisch (und medizinisch) nicht plausibel ist. Auch wird nicht näher auf die auch schon aus den spätmittelalterlichen Quellen ersichtlichen verschiedenen Verlaufsformen der Pest eingegangen. So sind es nicht die hässlichen, mit Eiter und schwarzem Blut gefüllten „Beulen" (also geschwollenen Lymphknoten), die der Krankheit ihren schlechten Ruf brachten, sondern der grässliche Erstickungstod (mit dem vorausgehenden, äußerst schmerzhaften Bluthusten) im Falle einer Tröpfcheninfektion der Lunge. Also beim Auftreten der „Lungenpest" - der Übertragung des Erregers von Mensch zu Mensch. Statt von (Ratten-)Floh zu Mensch. Dazu kommt zum anderen, dass Teil Fünf des Sechsteilers dramaturgisch doch etwas vor sich hinplätschert. Was schade ist, gemessen daran, wie vergleichsweise knapp die Laufzeit insgesamt ist. Doch ist das alles zu verschmerzen. Denn die in absolut echt wirkenden Computeranimationen (und liebevoll arrangierten Bühnen) eingesperrten Akteure dieser Tragödie ziehen uns in ihre vom Schmutz bedeckte, apokalyptische Welt. Obwohl wir uns nach Leibeskräften dagegen stemmen. Es ist hoffnungslos.

Literaturtipps:
1) Bergdolt, Klaus, Der schwarze Tod in Europa. Die Große Pest und das Ende des Mittelalters, München 2003
2) Defoe, Daniel, Die Pest in London (A Journal of the Plaque Year)

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