Review
von Alex Kiensch
Nach einem Attentat auf Heydrich greift die deutsche Besatzungsmacht im Tschechien der 40er-Jahre hart durch. In einer kleinen Stadt werden fast täglich vermeintliche Verräter hingerichtet. Als drei Abiturienten wegen eines Dumme-Jungen-Streichs verhaftet und zum Tod durch Erschießen verurteilt werden, versuchen ihr tief moralischer Klassenlehrer und eine Mitschülerin verzweifelt, den sinnlosen Mord zu verhindern.
Der tschechische Film aus dem Jahre 1960, der wegen angeblicher "Deutschfeindlichkeit" einige Jahre hierzulande verboten war, gehört wohl zu den eindringlichsten, weil ehrlichsten Filmen über das alles umfassende Grauen, das der Naziterror über Europa brachte. Auf Kriegsszenen oder allzu deutliche Gewalt wird hier vollständig verzichtet - dennoch verstört "Das höhere Prinzip" wie nur wenige andere Filme zum Thema.
Der Grund dafür ist die ruhige Inszenierungsweise, mit der hier der alltägliche Terror dargestellt wird. Mit ruhigen Kamerafahrten werden die Menschen in ihrem Alltagsleben vorgestellt - ein Alltagsleben, das selbst in den belanglosesten Kleinigkeiten durch die Nazi-Gewalt beeinflusst und geregelt wird. Schon die Anfangsszene, in der eine Hinrichtung, untermalt von einer Stimme, die monoton die Namen der heute verurteilten "Verräter" vorliest, stattfindet, bedrückt mit ihrer unaufgeregten Klarheit. Der Wahnsinn der Nazi-Ideologie manifestiert sich hier in der bürokratischen Routine eines systematischen Massenmordes. Die Menschen können nicht mehr frei denken, nicht mehr frei sprechen, müssen sich an fest vorgeschriebene, allzu oft absurde Gesetze halten, bei denen schon kleinste Verstöße ein Todesurteil bedeuten können. So schleicht sich der Terror der Besatzung langsam und still nicht nur in die Köpfe der Protagonisten, sondern auch ins Herz des Zuschauers.
Das alles wird von überzeugenden, sehr natürlich wirkenden Darstellern getragen, die ihren Figuren so viel Leben einhauchen, dass man unweigerlich mit ihnen mitfiebern muss. Doch die wahre Komplexität des Films erweist sich erst mit der Figur des Gestapo-Leiters: Auch wenn hier die Unmenschlichkeit der Nazis angeprangert und ein Loblied auf Zusammenhalt und Moral gesungen werden soll, werden die Deutschen nicht schlichtweg als Monster gezeichnet. Der Gestapo-Leiter Worliczek will, einfach um jeden Tag eine gute Tat zu vollbringen, das Todesurteil der drei Jungen aufheben lassen - als Monster mit Kopf und Seele verleiht er der Handlung eine moralische Tiefe, die selten und wertvoll ist. Und dass sein gut gemeintes Eingreifen keinen Erfolg erzielt, liegt wiederum an der lächerlichen Bürokratie eines unvorstellbaren Vernichtungsapparates.
"Das höhere Prinzip" erweist sich als ein in seiner stilistischen Schlichtheit sehr komplexer, intelligenter und humanistischer Film, ein Plädoyer für Menschlichkeit und moralische Kraft, das mit seinen ruhigen Bildern, die eine erschreckende, wenn auch nicht hoffnungslose Geschichte erzählen, bis zum Ende zu fesseln weiß und das noch lange nachwirkt.