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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Hochzeit eines italienischen Genres – Giallo-Triple, Vol. VI

Stichwörter: 1970er Deutschland Erotik Fenech giallo Granger Horror Italien Jubiläum Klassiker Kriminalfilm Martino Miraglia Montero Nicolai Pistilli Poe Rassimov Spielfilm Strindberg Thriller

Rivelazioni di un maniaco sessuale al capo della squadra mobile (1972) & Il tuo vizio è una stanza chiusa e solo io ne ho la chiave (1972) & La dama rossa uccide sette volte (1972)

Der am 11. August 1972 uraufgeführte giallo "Rivelazioni di un maniaco sessuale al capo della squadra mobile" von Roberto Bianchi Montero ist – trotz eines recht namhaften Stars wie Farley Granger in der Hauptrolle – ein eher bloß gehoben durchschnittlicher Film. Aber es gibt – bereits ganz zu Beginn und auch ganz zum Schluss – Bemerkenswertes an diesem giallo, der doch auch wieder durch und durch charakteristisch ist: Gleich zu Beginn sorgt ein leuchtende Lampe in Großaufnahme noch für eine helle Leinwand, wobei der (allerdings nicht leinwandfüllende) Lampenschirm und Leinwand geradezu verschmelzen, ehe dann ein rascher Schwenk eine so attraktiv( entblößt)e wie blutig gemetzelte Frau einfängt, neben der mehrere Fotografien von ihr liegen. Ein weiterer Schwenk führt einen zu einer Gruppe von Ermittlern, wobei einer der Männer Aufnahmen des Tatortes und des toten Körpers macht. Hier ist gleich (wie in erstaunlich vielen anderen gialli) alles drin: auffällig visuelle Reize (wie der Schwenk von hellem Lampenschirm, heller Leinwand, auf konkrete Bilder), Erotik und Gewalt in frappierender Vermengung, das Ins-Bild-Rücken des toten Frauenkörpers, der anziehend, entrissen, abstoßen zugleich erscheint. Das Fotografieren des Leichnams weckt beim sensiblen Publikum Bewusstsein für das Filmen (beinahe) nackter, weiblicher Gewaltopfer, für den Voyeurismus, der in diesem Fall hineinspielt und die Frage nach der Motivation aufwirft. Der Film wird das später noch deutlich wiederholen: etwa gleich im Vorspann, wenn sich eine Kameralinse auf das Publikum richtet. Die Handlung ist indes schnell auf das Nötigste zusammenzufassen: In Monteros Film geht ein Killer um: er mordet unter den Reichen und Bekannten, und zwar untreue Frauen. Dass die wenig Gegenwehr zeigen, mag man dem Film mit guten Gründen auf unterschiedliche Weise ankreisen: weil er etwa passive Frauen zeigt, weil etwa die Frauen möglicherweise ein Schuldeingeständnis samt Sehnsucht nach Bestrafung erkennen lassen. Aber es führt in die Irre, in "Rivelazioni di un maniaco sessuale al capo della squadra mobile" einen misogynen Film sehen zu wollen. Das zeigt sich ganz am Ende, wenn klar wird, warum Montero gleich zu Beginn die Fotos des Täters mit dem Akt der Fotografie der Ermittler assoziiert. Es geht nicht bloß darum, dem Publikum auf Kosten einer inhaltlich nicht gerechtfertigten Parallelisierung zwischen Killer und Ermittlern eine reflektierte Haltung angesichts der eigenen Schaulust und der Genrefilmmechanismen nahezulegen, sondern es geht tatsächlich auch darum, das gemeinsame im mordendern und ermittelnden Mann aufzuzeigen: Denn am Schluss wird die Hauptfigur die längst als untreu erkannte eigene Ehefrau dem Mörder tatlos überlassen. Erst nach der Tat wird der Kriminelle dann vom Mann des Gesetzes erschossen: zwei Fliegen mit einer Klappe für diesen gerechten Mann, der den kriminellen Mann noch zu tun gestattete, was er selbst nicht tun durfte, aber offenbar tun wollte. Der Gerechte entpuppt sich als so verkommen wie der Täter, macht sich dessen Moral zu eigen. Und danach darf sich auch das (männliche) Publikum fragen, wohei die eigene Schaulust kommt und was genau man an diesem und vielen vergleichbaren Filmen eigentlich so wertschätzt. Dass das bekanntlich große Teile des Publikum eben nicht tun, mag ein Indiz dafür sein, dass "Rivelazioni di un maniaco sessuale al capo della squadra mobile" mit seinem zynischen, anklagenden, provozierenden Ende so unrecht nicht hat. Unbedingt empfehlenswert ist natürlich die schon Camera Obscura-DVD des Films: Fassungseintrag von Cut Here
Eine Woche später kam am 18. August 1972 mit "Il tuo vizio è una stanza chiusa e solo io ne ho la chiave" ein weiterer giallo heraus, der 1971/1972 seinen absoluten Boom erlebte. Mit Sergio Martino führte hier eine kleine, später recht populäre, beliebte Größe des italienischen Thriller- und Horrorfilms Regie – und vor allem mit Edwige Fenech, Anita Strindberg und Ivan Rassimov stehen hier Stars des italienischen Genrefilms vor der Kamera, die ebenfalls einen guten Ruf bei den Fans des italienischen Genrefilms haben, derweil  Bruno Nicolai den Streifen mit einem eingängigen Soundtrack veredelt. Und dann ist Martinos Film auch nocht von Edgar Allan Poes berühmte Kurzgeschichte "The Black Cat" (1843) inspiriert – was eine nicht unbedingt einzigartiger, aber doch eher seltene Verquickung von giallo- mit gothic-Motiven mit sich bringt. Aber auch hier geht es um die Gewalt an Frauen, ein Übeltäter ist schnell ausgemacht: Luigi Pistilli ist als – wie Poe – trinkender Schriftsteller mit geringem Erfolg die Hauptfigur, die ihrer Frau auch vor anderen eine Ohrfeige verpasst. Pistillis Oliviero ist der berüchtigte handgreifliche Ehemann – und dann auch schnell verdächtig, als in seinem Umfeld tote Frauen auftauchen, mit denen er in Verbindung stand. Aber dann nimmt doch alles eine unerwartete Wendung: Der Mann wird von Frau und Komplizin, die sich verständnisvoll gibt, ermordet – doch die Komplizin selbst hat niederträchtige Motive, auch die schwer gebeutelte Ehefrau ist zu mancher Missetat bereit und den wahren Frauenmörder gibt es auch noch. Eine mit einem Opfer eingemauerte schwarze Katze wird dann am Ende der einzig Überlebenden einen Strich durch die Rechnung machen: Anstatt nun das Vermögen genießen zu können, wird sie inhaftiert. So überraschend, originell und inszenatorisch und darstellerisch hochwertig "Il tuo vizio è una stanza chiusa e solo io ne ho la chiave" auch ist, der – durchaus zum mehrdeutigen Titel passend – auch mit "Gaslight"(ing)-Elementen spielt – er lässt sich dennoch nicht zu einer eindeutigen Aussage über Geschlechterrollen vor dem Hintergrund von häulicher Gewalt und gaslighting bewegen. Die männliche Gewalt tritt etwas grobschlächtiger in Erscheinung, weibliche Gewalt ist allerdings ebenso vorhanden: bloß perfider, intriganter... Dass der schlagende Ehemann auch noch von seiner Mutter besessen zu sein scheint, rundet das Bild ab, das vielleicht einen pessimistischen Rundumschlag anstrebte, aber doch eher bloß das Verhältnis von männlicher häuslicher Gewalt und Erscheinungsformen weiblicher Gewalt falsch abbildet – um dann auch noch die Ticks des Mannes vor dem absonderlichen Einfluss seiner Mutter zu entfalten. Damit dürfte Martinos giallo heute nicht sehr zeitgemäß sein – hat aber jenseits seiner ideologischen Aspekte Vorzüge, die buxtebrawler in seinem Review herausarbeitet.
Zeitgleich mit Martinos Film kam noch ein weiterer giallo auf die große Leinwand: Auch Emilio Miraglias "La dama rossa uccide sette volte" (1972) kam am 18. August 1972 heraus. Ein wenig wie Martino hatte Miraglia mit seinem "La notte che Evelyn uscì dalla tomba" (1971) gothic- und giallo-Elemente verbunden – und dort bereits den gewalttätigen als von einer Frau Besessenen gezeigt, der zudem selbst ein Opfer (nicht allein eines Mannes) wird. In "La dama rossa uccide sette volte" rückt den Mariglia den giallo noch näher an den gothic horror (auch wenn sich die gepenstischsten Eindrücke ausgerechnet reichlich steril oder abstrakt präsentieren), siedelt die Geschichte dann auch passenderweise in Deutschland an und konzentriert sich hier nun aber gleich zu Beginn sehr deutlich auf weibliche Gewalt: Eine im Kindesalter zur Mörderin ihrer Schwester gewordene Frau reist aus den USA zurück in ihre Heimat, wo die schauerliche Legende zweier mörderischer Schwestern kursiert: eine mordete die andere, diese kam aus dem Totenreich zurück, um nach sechs Morden ihrer Schwester aus dem Leben zu reißen. Das Schicksal dieser Schwestern solle sich die Jahrunderte hindurch wiederholen soll. Der alte Familienfluch, die Rache aus dem Grabe: Miraglia gelingt hier etwas stimmiger, was er schon mit "La notte che Evelyn uscì dalla tomba" versucht hatte – und vor allem blickt er mit allerlei Wendungen gleich von Beginn an nicht nur auf weibliche Opfer, sondern auch auf weibliche Täterinnen, die sich regelmäßig in den gialli tummelten. Auch dieses Bild ist zwiespältig: Die hier gespentisch überhöhte mörderische Frau ist zwar eine starke Frau, die sich nicht ganz ins traditionelle Frauenbild fügt, aber zugleich auch eine negativ gezeichnete Figur, die zudem ebenfalls erotische Männerphantasien befriedigt – diesmal allerdings masochistische. Am Ende dann aber wird diese Souveränität gebrochen: Die Täterin erscheint nun wirr, krank und leidend – der Held und sein love interest überstehen ihre heftigen Attacken, am Ende sind die männliche Souveränität (und die traditonelle heterosexuelle Zweierbeziehung) wieder sicher und wiederhergestellt, die zustechende (penetrierende) starke Frau ist nur noch eine böse Erinnerung. Auch dieses Muster gehört zum giallo – der aber in vielen Fällen (wie etwa Monteros inszenatorisch weniger gelungenem "Rivelazioni di un maniaco sessuale al capo della squadra mobile") solche Muster auch zeigt, um zur Reflexion einzuladen. Miraglia tut das – trotz einer Geschichte in der Geschichte – weniger, reicht aber ohnehin auch stark in die gothic-Ecke: Als schauerliche Kriminalgeschichte mit starkem gothic-Einschlag und effektiven Regieeinfällen dürfte "La dama rossa uccide sette volte" aber für Lieberhaber(innen) dieser Art von Film definitiv einen Blick wert sein, wenn nicht gar zu den besten Beispielen dieses Kinos zählen.
So sieht es auch horror1966 in seinem äußerst wohlwollenden Review...


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