Viskningar och rop (1972)
Man konnte Ingmar Bergmans US-Ausflug "The Touch" (1971), einem stillen, unauffälligen kleinen Drama, seinerzeit noch als einen Aussetzer betrachten; nicht der erste (oder gravierendste) in seiner Karriere, könnte man ergänzen, wenn man etwa an die Komödie "För att inte tala om alla dessa kvinnor" (1964) denkt, die wohl den Tiefpunkt in seiner Hauptphase bildet – was immerhin noch heißt, es hier mit einer einfach eher mittelmäßigen Komödie zu tun zu haben. Gut, die Zugkraft beim Publikum ging zuletzt auch zurück, aber immerhin handelte es sich Ende der 60er Jahre noch oft genug um Sternstunden der Filmgeschichte. Am Ende der 70er Jahre konnte man dann wissen, dass "The Touch" eher den Beginn eines leichten, aber kaum übersehbaren qualitativen Abfalls darstellte. Der am 21. Dezember 1972 uraufgeführte "Viskningar och rop" setzte indes noch einmal die Reihe von Bergmans Meisterwerken fort – und auch die folgenden "Scener ur ett äktenskap" (1973) holten noch einmal ganz gewaltig Kritik und Publikum ab, wobei man 50 Jahre später sicherlich auch Anstoß an dem Umgang von Regie und Figuren mit Ausbruch häuslicher Gewalt nehmen kann. Nicht unbedingt anstößig, aber doch skandalträchtig gab sich etwas bewusster zuvor schon "Viskningar och rop" mit der berüchtigten Szene, in der sich Ingrid Thulins Figur vor den Augen ihres Gatten mit einer Glasscherbe den Intimbereich verletzt: ein Tabubruch, der unter anderem bei einem Lars von Trier Eindruck gemacht zu haben scheint (auch wenn er ähnliche Tabubrüche im eigenen Werk ganz anders kontextualisiert). Neben Thulin, die schon in Bergmans Skandalfilm "Tystnaden" (1963) eine der skandalträchtigsten Szenen des Films gestemmt hat, ist nur eines von vielen prominenten Bergman-Gesichtern, denen man in "Viskningar och rop" wieder begegnet: Harriet Andersson ist mit dabei, Liv Ullmann, die heute ihren 84. Geburtstag feiern darf, ist mit dabei, Erland Josephson ist mit dabei... und auch Inga Gill, Anders Ek und Bergmans Tochter Lena, die am Tag der Uraufführung gerade ihren 29. Geburtstag feierte, sind mit dabei. Aber vor allem ist "Viskningar och rop" ein höchst intensiver Film, ein Film der Extreme, die schon im Titel anklingen. Rund um das Sterben einer Totkranken kreisen das Schreien und das Flüstern in diesem Film, in dem die reifen Figuren trotz schöner, verbindender Momente in der Vergangenheit, kaum noch Zugang zueinander finden; ein eisiger Film ist das geworden, eingefangen in vor allem rötlichen und weißen Tönen (wieder einmal von Sven Nykvist). Die Vertrautheit des Ensembles dürfte der Intensität zuträglich gewesen sein – die wohl ausschlaggebend für den überwältigenden Erfolg bei Kritik und Publikum war. Zweifelsohne war "Viskningar och rop" noch einmal ein großer Wurf in der Filmografie der Beteiligten. Bergman selbst sollte solche Größe nur noch einmal erreichen: zehn Jahre später, mit "Fanny och Alexander" (1982).
Worum es überhaupt geht und wo die Qualitäten genau liegen, verrät Cineast18 in seinem Review...
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