Naked Lunch (1991)
David Cronenberg, der mit absonderlichen Kurzfilmen und sperrigen Sci-Fi-Filmen auf sich aufmerksam machte, ehe er mit der (umstrittenen) Hilfe der kanadischen Filmförderung "Shivers" (1975) inszenierte, galt von da an bis Mitte/Ende der 80er Jahre als Spezialist des Körperhorrors und wurde mit Spitznamen wie Dave Deprave, Baron of Blood oder King of Venereal Horror ausgestattet. Weniger effektvoll platzende Köpfe wie in "Scanners" (1981) oder drastisch-blutige Sinnbilder des Alterungsprozesses wie in "The Fly" (1986), sondern vielmehr ein Interesse am "new flesh" - wie es in "Videodrome" (1983) tituliert wird - ist dabei für Cronenbergs Körperhorror bedeutsam: Stets reibt er sich am Gedanken eines fest definierten, leicht abzugrenzenden Körpers, der dann durch die Psyche, durch die Medizin, durch die Technik oder durch die virtuelle Realität Veränderungen unterliegt. "Dead Ringers" (1988) und "Naked Lunch" markieren eine Art Umbruchphase in Cronenbergs Schaffen. Die Splatter-Ästhetik wird immer bedeutungsloser, während die - schon in "Videodrome" zentrale - Wahrnehmung immer mehr Bedeutung erlangt. Bis zuletzt verhandelt Cronenberg im Grunde Störungen der vermeintlich sicheren Identität: Von der körperlichen Veränderung und der Auflösung der Grenzen zwischen Innen & Außen gelangt er zunehmend zu einer psychologisch ausgerichteten Verunsicherung der vermeintlich festen Identität.
Der am 12. Dezember 1991 in Großbritannien uraufgeführte (und am 27. Dezember in den USA gestartete) "Naked Lunch" vereint als wichtiger Wendepunkt zwischen Früh- und Spätwerk beide Motive aus Cronenbergs Schaffen: Die körperliche Mutation und die Täuschungen der Psyche gehen hier Hand in Hand - und William S. Burroughs gibt mit seinem Werk und seiner Biografie die passende Vorlage für Cronenberg ab. Bekannte Gesichter - Peter Weller, Judy Davis, Ian Holm, Julian Sands, Roy Scheider - und Cronenwerk-Wegbegleiter wie Komponist Howard Shore, Kamermann Peter Suschitzky (der seit Dead Ringers" vielfach mit Cronenberg arbeitete) und Cutter Ronald Sanders sorgen dabei für ein hohes Niveau, auf welchem Cronenberg wie schon in "Videodrome" und später in "eXistenZ" (1999) einen alptraumartigen Realitätsverlust und die Körperhorror-Motive seines Frühwerkes miteinander vermengt. Dass Cronenberg hier keine zentrale Fragestellung verfolgt, sondern die schillernde Biografie und Fantasie Burroughs als Basis für seine Phantasmagorie heranzieht, mag neben dem Umstand, dass sich Cronenberg - laut eigener Aussage - mit der Drastik der Darstellung hierbei zurückhalten musste, dazu geführt haben, dass "Naked Lunch" zu einem zweifelsohne charakteristischen, aber auch nicht gerade unumstrittenen Klassiker in der Filmografie des kanadischen Ausnahme-Regisseurs geworden ist.
Eine Hilfestellung zur "Naked Lunch"-Sichtung liefert Apollon in seinem Review.
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Naked Lunch ist definitiv eine Sichtung wert. Der Stoff ist aber gerade im Vergleich zu manch anderen Cronenberg Werken weniger zugänglich und liefert jede Menge kryptische Bilder, die es zu entschlüsseln gilt. Wer mit einer alptraumhaft inszenierten Handlung und hypnotisierenden Bildern etwas anfangen kann sollte sich diesen Film aber nicht entgehen lassen.